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Uni-Vorgeschichte II: Universität(en) oder Gesamthochschulen im Nordwesten

Der Bildungsbereich boomte, die geburtenstarken Jahrgänge drängten in die Schulen. Ähnlich wie in NRW (u.a. im Ruhrgebiet) wurde daher in Niedersachsen die Neugründung von Universitäten bzw. Gesamthochschulen in bislang „wissenschaftsfernen Standorten“ von der vor allem betroffenen Region Weser-Ems (Regierungsbezirke Aurich, Osnabrück, Verwaltungsbezirk Oldenburg) einerseits eingefordert und andererseits aus Hannover auch gezielt vorangetrieben, allerdings nach wechselnden politischen Prämissen. Neben Vorstellungen, die PHN zu einer dezentralen (pädagogischen) Landesuniversität auszubauen, kristallisierten sich schnell konkretere Standortplanungen für „vollwertige“ Universitäten in Oldenburg und Osnabrück heraus, die anfangs zunächst noch sehr übergreifend gemeinsam „gedacht“ wurden und nicht nur die örtlichen PHN-Standorte einbeziehen sollten. Ebenso gab es Überlegungen, die vorhandenen praxisbezogenen Bildungsgänge (z.B. an Ingenieurschulen und -akademien etc.) in Form von Integrierten Gesamthochschulen ebenfalls aufzunehmen und diese weiter zu verwissenschaftlichen. Eigentlich als "Vorstufe" für eine spätere Integration entstanden 1971 daher die Fachhochschulen in Osnabrück und Oldenburg.

Der 1960 ins Leben gerufene Wissenschaftsrat hatte dringend den Aufbau neuer Hochschulen gefordert, um den Herausforderungen der moderenen Gesellschaft, Wirtschaft und Technik begegnen zu können. Es bestand ein zunehmend eklatantes Missverhältnis zwischen dem immer größeren Andrang von Studierenden und den vorhandenen Strukturen und Lehrstühlen. Da die vorhandenen Universitäten nicht grenzenlos ausgebaut werden konnten, bestand ganz klar ein Bedarf an neuen Hochschulstandorten, um auch mit den übrigen Laändern un Europa mithalten zu können. Ein Gutachten der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates hatte ergänzend im selben Jahr explizit für den nordwestdeutschen Raum eine zusätzliche wissenschaftliche Hochschule gefordert. Seinerzeit gab es in Niedersachsen nur die Georg-August-Universität in Göttingen, die heutigen Universitäten Hannover und Braunscchweig waren als rein Technische Hochschulen damals noch keine Voll-Universitäten.

So lag es nahe, im Anschluss zunächst sogar in enger Abstimmungen mit Bremen eine Universität im Nordwesten zu fordern, Sitz in Bremen, ggf. mit Standort in Oldenburg. Man strebte dafür eine Mitfinanzierung des Bundes bzw. weiterer norddeutscher Bundesländer an. Mit entsprechender Konkretisierung der Planungen zur Gründung einer landeseigenen bremischen Universität (1964/1967/1971, der Lehrbetrieb begann im WS 1971/72) und später zunehmenden Debatten um strukturelle und politische Fragen ("Rote Kaderschmiede"), stieg Bremen aber sukzessive aus dem länderübergreifenden Diskurs über eine Nordwest-Universität aus. Insbesondere die Städte Oldenburg und Osnabrück verfolgten weiter eigene Wege, politischen Druck zur Schaffung von Universitäten zu schaffen. Angesichts der geplanten Gründung der Universität Bremen sah sich Osnabrück nun im Standortvorteil für eine weitere Landesuniversität und ließ entsprechende Gutachten verfassen.

Nun hätte es auch Mitte der 1960er Jahre nahe gelegen, mit der örtlichen Pädagogischen Hochschule in Osnabrück (Adolf-Reichwein-Hochschule) ein Bündnis einzugehen und mit dieser vereint die Integration der Lehrerbildung in eine neue Universität einzufordern. Genau dies geschah aber zunächst nicht, denn man sah seitens der Politik die Lehrerausbildung eben (noch) nicht als "universitär" bzw. wissenschaftlich an, vielmehr als "Ausbildungsgang", andererseits sah sich auch die PH dem Ansatz einer ganzheitlichen Bildungsgemeinschaft verppflichtet, einer Überschaubarkeit und Nähe, die in einer Universität als Großstruktur verloren zu gehen drohe. Ein Aspekt, der auch die PH Vechta später abschreckte, sich frühzeitig um eine Integration in eine der beiden neuen Universitäten zu bemühen und lange Zeit zu einer Position "zwischen den Stühlen" führte. 1968 fand sich in Osnabrück aber doch eine gemeinschaftliche aus Stadt, Landkreis und PH besetzte "Hochschulkommission Osnabrück" zusammen, die nun als Sprachrohr fungierte und 1969 einen "Modellentwurf einer Universität mit erziehungswissenschaftlichem Schwerpunkt" vorlegte. Die PH sollte als Teiluniversität einer neuen Universität Osnabrück fungieren.

Noch kein Wort von einer Integrierten Gesamthochschule, aber konzeptuell war man der Zeit weit voraus: Die integrierte PH sollte Versuchsschulen einschließlich Gesamtschulen zu Studienzwecken zugeordnet bekommen, die Einrichtung eines Kollegs als Laborschule wurde angedacht und die Schaffung fachwissenschaftlicher Lehrstühle. Die Lehrerbildung sollte somit die neue Universität  mit Schwerpunkt philosophisch-erziehungswissenschaftlicher Disziplinen maßgeblich prägen ("Osnabrücker Modell"). In Oldenburg verlief der Diskurs ähnlich, aber anders besetzt: Neben einem aus der Region und Politik besetzten "Förderkreis einer Universität in Oldenburg" agierte ein "Universitätsausschuss" der örtlichen PH, zeitweise im öffentlichen Dissenz miteinander. Auch in Osnabrück hatte sich an der PH ein paritätisch besetzter Ausschuss gebildet, der das Osnabrücker Modell mit planen sollte.

Einen neuen Akzent in die Diskussionen setzte das Anfang 1969 erschienene Gutachten der Sachverständigenkommission des Wissenschaftsrates zur Lage im Nordwesten, das bereits 1963 beauftragt worden war.  Nach dem Vorsitzenden Hans Leussink als "Leussink-Gutachten" bekannt sprach es sich nach umfassender wissenschaftlicher Aufarbeitung der Situation im niedersächsischen Hochschulwesen explizit für eine weitere Universitätsgründung neben der anstehenden in Bremen aus, die die Lehrerbildung und Erziehungs- wie Bildungswissenschaften umfassend als zentralen Kern einbeziehen sollte. Man empfahl eine Größe von 4.000 -5.000 Studierenden als erste Stufe, als mögliche geeignete Standorte wurden Oldenburg, Osnabrück und ohne nähere Verortung Ostfriesland genannt. Sogleich folgte Kritik an einer solchen fachlich limitierten "PH-Uni", aber für beide Städte war das Gutachten Wasser auf die Mühlen ihrer Forderungen, insbesondere in Osnabrück, wo man ja schon ein Modell der zukünftigen Lehrerbildung in Planung hatte. Trotz der Nähe zu Münster sah man sich hinsichtlich des Einzugsbereichs in Osnabrück gut aufgestellt.

Die Rivalität zwischen Oldenburg und Osnabrück nahm zu, es wurde medial stark "ausgeteilt" und politische Koalitionen gesucht, um jeweils den "Nordwestraum" gegenüber den "Südwestraum" Niedersachsens bzw. umgekehrt als potenzialreicher für eine Universitätsgründung darzustellen. In keiner dieser Diskussionen fand der Verbleib des PHN-Standorts Vechta einen nennenswerten Niederschlag. Ab dem Oktober 1969 gab es dann eine Planungskommission des Landes Niedersachsen für einen Hochschulgesamtplan, der Vorschläge für Standorte neuer Hochschulen und Integration für die PHen, Akademien etc. enthalten sollte. Erstmals wurde im Dezember 1969 in dieser Kommission vereinbart, dass an beiden Standorten in Osnabrück und Oldenburg nun neue Hochschulen schrittweise aufgebaut werden könnten. Letztlich hatte das Bundesgesetz für die Gemeinschaftsaufgabe "Ausbau und Neubau von wissenschaftlichen Hochschulen (Hochschulbauförderungsgesetz)" Bewegung in die Debatte um die Finanzierbarkeit gebracht. Unterlagen für einen Rahmenplan sollten bis Mitte 1970 dem Bund bzw. dem gutachtenden Wissenschaftsrat vorliegen. Im Sommer 1970 kam es in Niedersachsen zum Regierungswechsel zugunsten der SPD, neuer Kultusminister wurde Prof. Peter von Oertzen.

Im April 1970 legte der Nds. Kultusminister eine "Denkschrift zur Gründung der Universitäten Oldenburg und Osnabrück" vor, die sich explizit auf das Leussink-Gutachten stützt und eine vollständige Integration der drei PHN-Standorte vorsah. Hierin werden allerdings für Oldenburg nun schon 12.000 und für Osnabrück 10.000 Studierende als Zielgröße/Einzugsbereich vorgesehen. Eigene Studienplatzkapazitäten für Vechta sind darin nicht explizit berücksichtigt, man ging von einem Anschluss der PHN-Abteilung Vechta in die eine oder anderer Richtung aus. Explizit wird in der Denkschrift von Gesamthochschulen als Ziel gesprochen, worin die neuen Universitäten, die bestehenden PHN-Standorte (Verschmelzung) und Ingenierurakademien (ab 1971 Fachhochschulen) etc. als "Gliedhochschulen" perspektivisch einzugliedern seien. Schon im Detail befasst man sich umfassend mit den Standortplanungen und Flächen für neue Bau- und Investitionsvorhaben in Osnabrück (Schloss/Zentrum und Westerberg) bzw. Oldenburg (Wechloy). Ziel soll ein Beginn des Lehrbetriebs im WS 1971/72 sein. Zu Vechta erfolgt eine Detailplanung oder Kostenabschätzung für Investitionen vor Ort hingegen an keiner Stelle. Der Wissenschaftsrat begrüßt im Juli 1970 die Planungen und empfiehlt die Aufnahme der beiden neuen Hochschulen in Oldenburg und Osnabrück in das Hochschulbauförderungsgesetz. Er moniert aber: "Eine einseitige Betonung der Lehrerausbildung ist zu vermeiden, weil die damit verbundene fachliche Beschränkung die Gesamthochschule auf eine zu schmale Basis stellt und die Gewinnung von wiss. Personal erschweren könnte". Das Land folgt umgehend mit einem Beschluss zur Gründung zweier Universitäten an den Standorten Oldenburg und Osnabrück im August 1970 und legt im September einen Erlass zum Gründungsverfahren vor, der jeweils einem Gründungsausschuss (GA) vor Ort die Planungen, Strukturen und Berufungen vorzubereiten.

In keinem dieser Gründungsausschüsse waren zunächst Vertreter*innen aus Vechta vorgesehen...