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© Maarten Vanden Eynde

Das naturkulturelle Gedächtnis

Menschliche Kulturen und Gesellschaften verändern spätestens seit Kolonialisierung und Industrialisierung unwiderruflich die Grundbedingungen des Lebens auf der Erde. Diese (erd)historische Erkenntnis kommt im geologischen Anthropozän-Konzept, das den Menschen als eine global prägende geophysikalische Kraft der gegenwärtigen Epoche benennt, zum Ausdruck. Um die so charakterisierte krisenhafte Gegenwart und die menschliche Rolle darin zu verstehen, ist es notwendig, in größeren zeitlichen Dimensionen zu denken und die Geschichte der Moderne als Teil einer allgemeinen Geschichte des Lebens zu begreifen. Vor diesem Hintergrund hat sich das Anthropozän seit ca. 2010 auch als kulturelles Konzept etabliert. Indem es Menschheits- und Erdgeschichte zusammenführt, trägt es zu einem neuen Selbstverständnis des Menschen bei. Im Zuge dessen lässt sich auch von einer Erweiterung des kulturellen Gedächtnisses sprechen, das zunehmend tiefenzeitliche Mensch-Natur-Beziehungen umfasst. Eine wichtige Dimension sind dabei 'Archive der Natur', an denen sich anthropogene Einflüsse ablesen lassen. So haben sich in Erdschichten, Eisbohrkernen und Tiefseesedimenten z.B. Veränderungen des Klimas schon eingeschrieben, lange bevor Menschen angefangen haben, systematisch Wetterdaten zu sammeln. Sie bergen entscheidende Informationen über die Geschichte des Planeten und bilden materielle Ankerpunkte für Narrative einer Menschheitsgeschichte im Horizont geologi­scher Tiefenzeit. Mit ihnen beginnt ein neues Kapitel in der Mediengeschichte des kulturellen Gedächtnisses.

In Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen zielt das Projekt darauf ab, erstmals die Theorie eines naturkulturellen Gedächtnisses zu formulieren, die mehr-als-menschliche planetare Geschichte inhaltlich (Erinnerung von Mensch-Natur-Beziehungen) und funktional (Einbeziehung von Archiven der Natur) in die kulturelle Gedächtnisforschung integriert. Auf Basis dieser Theorie soll untersucht werden, wie Tiefenzeit als kulturell bedeutsamer Zeit- und Ereignishorizont konstruiert wird. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie Literatur und andere Medien Natur- und Erdgeschichte repräsentieren und so eine Funktion als naturkulturelle Archive und Gedächtnismedien übernehmen. In diesem Sinn möchte „Das naturkulturelle Gedächtnis im Anthropozän“ einen Beitrag zur Reflexion gegenwärtiger Verschiebungen im kulturellen Gedächtnis leisten. Gleichzeitig stellt es Orientierungswissen bereit, das die ökologische Transformation unserer Gesellschaft und ihres kulturellen Gedächtnisses unterstützt.

Wenn Sie mehr über unsere Arbeit erfahren wollen, kontaktieren Sie uns gerne. Einen tieferen Einblick in unsere Forschung zum naturkulturellen Gedächtnis geben unsere Publikationen und die geplanten Veranstaltungen.

Bildnachweise

Technofossil (Maarten Vanden Eynde. Projekt "Technofossils" https://www.maartenvandeneynde.com/?rd_project=technofossils&lang=en); Eislandschaft (pixabay).