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Michael Otten: Digitale Extremismusprävention angesichts neurechter Agitation im Netz

Abstract:
 

Im Web 2.0 haben traditionelle Kontrollinstanzen des öffentlichen Diskurses weitgehend die Kontrolle verloren, was zu einer massiven Informationsflut und einer Vermischung von Wahrheiten, Post- und falschen Wahrheiten führt (vgl. Groß 2024, 7). Adressat:innen bzw. Nutzer:innen von Social Media konsumieren Informationen, (re-)produzieren sie aber gleichzeitig unhinterfragt, was sie auch zu Produzent:innen macht. Diese Funktionsweisen von Social Media liefern für die Think-Tanks der Neuen Rechten eine ideale Umgebung, manipulativ-bewegende, emotionalisierte (Des-)Informationen schnell und effektiv zu verbreiten. Emotions- und angstgeladene Inhalte versprechen dabei mehr Klicks und Likes und werden dann durch die algorithmenbasierte Logik der Nutzer:innenprofile priorisiert, sodass hier die Architektur von Social Media als Resonanzraum für autoritäre Radikalisierung fungieren kann.

Neurechte Akteur:innen zählen oftmals zu den early adoptern digitaler Möglichkeiten (vgl. Berendsen 2024, 115-116). Sie nutzen digitale Medien grundsätzlich für zwei Zwecke: Der Austausch im „innercircle“ unter rechtsextremen Akteuren:innen und Sympathisant:innen mit den Zielen der Vernetzung, Koordination, Strategieentwicklung, Finanzierung, Identitätsbildung und Mobilisierung. Dagegen kann der digitale Rechtsextremismus durch die Kommunikation nach außen profitieren, um neue Anhänger:innen und Unterstützer:innen zu rekrutieren und auf die politische Willensbildung einzuwirken. Dazu zählen Angriffe auf politische Gegner:innen und Menschen, die dem eigenen Feindbild entsprechen, und die Einführung von Frames und Narrativen in den öffentlichen Diskurs (vgl. Rau 2024). Mit ihren auf den ersten Blick oftmals nicht zu erkennenden menschenverachtenden und demokratiefeindlichen Botschaften sprechen Neue Rechte junge Menschen im digitalen Media-Mix über Messenger-Dienste, Videoplattformen und Soziale Netzwerke an, um sie für ihre Gruppierung und deren Aktivitäten zu gewinnen (Yavuz und Frankenberger 2017, 54). In den letzten Jahren haben sich u. a. die Videoplattform BitChute, die Imageboards Reddit, 4Chan und 8kun als favorisierte Strukturen herausgebildet (vgl. Schulze et al. 2022a). Darüber hinaus werden nicht nur szenespezifische Kanäle verwendet, sondern gerade im Mainstream häufig genutzte Dienste wie TikTok und Instagram (vgl. Bauer und Rösch 2023; Franke und Hajok 2023), Telegram (vgl. Müller 2022; Schulze et al. 2022b) und YouTube (vgl. Reinke de Buitrago 2022).

Rechtsextremismus greift die epistemischen und informationellen Grundlagen der demokratischen Öffentlichkeit an (vgl. Schultz et al. 2021, 81). Massendesinformation und die Produktion von Fake News sind zum wichtigsten Instrument der modernen psychologischen Kriegsführung geworden (vgl. Ahlborn und Verständig 2024, 187-188).

Die sozialen Medien sind damit nicht nur Bühne des Protests, sie werden zugleich selbst zu einem Gegenstand (vgl. Ahlborn und Verständig 2024, 183). „Würden kontingente Setzungen über Menschenwürde und Gleichheit aller Menschen oder Demokratie in einem höheren Stabilitätsgrad und explizit als Setzungen (medien-)bildungstheoretisch konventionalisiert, erhielte Medienbildung stärker als bisher eine Kontur als Politische Medienbildung für ein demokratisches Zusammenleben“ (Dander 2024, 170).

Durch die Verlagerung digitaler Kommunikationsräume ergeben sich neue Gelegenheitsstrukturen für Rechtsextremist:innen, gleichzeitig bieten sich dadurch aber auch neue Handlungsoptionen für Akteur:innen der Prävention (vgl. Frischlich et al. 2022, 44). Folgende Ansatzpunkte bieten sich für eine digitale Extremismusprävention u. a. an:

- prebunking
- counter speech
- counter narratives
- debunking
- trusted messenger.

Der Vortrag thematisiert Möglichkeiten digitaler Extremismusprävention und zeigt auf, inwieweit bereits Ergebnisse zur Wirksamkeit einzelner Maßnahmen vorliegen.

Literatur:

 

Ahlborn, Juliane und Dan Verständig. 2024. Programmierter Protest? Ausdrucksformen des Widerstands im digitalen Zeitalter. In Sabrina Schenk (Hrsg.). Populismus und Protest. Demokra􏰀sche Öffentlichkeiten und Medienbildung in Zeiten von Rechtsextremismus und Digitalisierung. 175-200. Opladen: Budrich. doi: 10.3224/84743033.

Bauer, Mareike Fenja und Viktoria Rösch. 2023. Self-Care, Mental Health und Antfeminismus – visuelle Strategien antifeministischer Influencerinnen auf TikTok und Instagram. In Wissenschaft Demokratie. Band 14. 60-77.

Berendsen, Eva. 2024. Die Ausweitung der Kampfzone. Wie die extreme Rechte mit KI-Programmen menschenfeindliche Propaganda macht und den neuen Informationskrieg befeuert. In Marie-Sophie Adeoso, Eva Berendsen, Leo Fischer und Deborah Schnabel (Hrsg.). Code und Vorurteil. Über Künstliche Intelligenz, Rassismus und Antisemitismus. 115-124. Berlin: Verbrecher.

Dander, Valentin. 2024. Medienbildung und der digitale Faschismus. Normative Anfragen an medienpädagogische Kernkonzepte. In Sabrina Schenk (Hrsg.). Populismus und Protest. Demokratische Öffentlichkeiten und Medienbildung in Zeiten von Rechtsextremismus und Digitalisierung. 149-174. Opladen: Budrich. doi: 10.3224/84743033.

Franke, Lara und Daniel Hajok. 2023. TikTok und Rechtsextremismus. Neue Formen der Propaganda auf einer kind- und jugendaffinen Plttorm. Bonn: bpb. ttps://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/541511/tiktok-und- rechtsextremismus/.

Frischlich, Lena, Tim Schato-Eckrodt und Julia Völker. 2022. Rückzug in die Scha􏰁en? Die Verlagerung digitaler Foren zwischen Fringe Communites und "Dark Social" und ihre Implikationen für die Extremismusprävention. (CoRE-NRW Kurzgutachten, 4). Bonn: Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) gGmbH. ttps://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-88143-1

Groß, Eva. 2024. Echtzeiten rechter Radikalisierung. Ein Überblick zum Erkenntnisstand rechtsgerichteter online Radikalisierung. In: Fabian Virchow, Anke Hoffstadt, Cordelia Heß und Alexander Häusler (Hrsg.): Handbuch Rechtsextremismus. Wiesbaden: Springer VS. doi.org/10.1007/978-3-658-38373-2

Müller, Pia. 2022. Extrem rechte Influencer*innen auf Telegram: Normalisierungsstrategien in der Corona-Pandemie. In ZRex – Zeitschrit für Rechtsextremismusforschung, 1-2022, 91-109. doi.org/10.3224/zrex.v2i1.06

Rau, Jan. 2024. Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Bonn: bpb. www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/544565/das-internet- als-rechtsextreme-erfolgsgeschichte/

Reinke de Buitrago, Sybille. 2022. “Radikalisierungsnarratve online in der politschen Bedeutungsschaffung: Islamistsche und rechtsextremistsche/-populistsche Narratve in YouTube.” In Radikalisierungsnarratve online. Perspektven und Lehren aus Wissenschat und Präventon, hrsg. von Sybille Reinke de Buitrago, 49-74, Wiesbaden: Springer.

Schultz, Tanjev, Marc Ziegele, Nikolaus Jackob, Ilka Jakobs, Oliver Quiring und Christan Schemer. 2021. Verschwörungsglaube, Medienzynismus und Militanz. Einstellungen und Informatonsquellen von Menschen mit AfD-Wahlpräferenz – ein Beitrag zur Radikalisierungsforschung, ZRex – Zeitschri􏰂 für Rechtsextremismusforschung, 1-2021, S. 60-89. doi.org/10.3224/zrex.v1i1.05.

Schulze Heidi, Julian Hohner und Diana Rieger. 2022a. Soziale Medien und Radikalisierung. In Liane Rothenberger, Joachim Krause, Jannis Jost und Kira Frankenthal (Hrsg.). Terrorismusforschung. Interdisziplinäres Handbuch für Wissenschat und Praxis. 319-329. Baden Baden: Nomos.

Schulze, Heidi, Julian Hohner, Simon Greipl, Maximilian Girgnhuber, Isabell Desta und Diana Rieger. 2022b. Far-right conspiracy groups on fringe plaorms: a longitudinal analysis of radicalizaon dynamics on Telegram. Convergence: The Internatonal Journal of Research into New Media Technologies 28, Nr. 4 (August): 1103-1126. doi:10.1177/13548565221104977.

Vavuz, Christane und Patrick Frankenberger. 2017. Extremismus im Netz. Wie Rechtsextreme und Islamisten Kinder und Jugendliche ködern. In Bundesarbeitsgemeinschat Kinder- und Jugendschutzhilfe e. V. (Hrsg.). Extrem...Radikal...Orienterungslos!? Religiöse und politsche Radikalisierung Jugendlicher. 53-61. Berlin.