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Benjamin Möbus Digitale Propaganda und Desinformation:

Ein analytisches Modell zur Untersuchung extremistischer Ideologie in Computerspielen

Abstract:

Im Spiegel der Popularität von Computerspielen – aktuelle Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung regelmäßig am Computer, der Konsole oder mobilen Endgeräten (wie Smartphones oder Tablets) spielt – versuchen Extremist*innen zunehmend das Medium sowie die zugehörigen Communities für ihre Zwecke zu vereinnahmen (vgl. bitkom, 2021; Schlegel, 2020). So nutzen sowohl Rechtsextremist*innen als auch Islamist*innen aus Videospielen bekannte Ästhetiken für Desinformationskampagnen, Propaganda und Terroranschläge – die rechtsextremen Terroristen von Christchurch (2019) und Halle (2019) bedienten sich bei der Liveübertragung der Anschläge etwa bewusst einer Inszenierung, die mit aus Computerspielen bekannten Gamification-Elementen versehen waren (vgl. Prinz & Hoang, 2021); zudem werden bei Computerspieler*innen beliebte digitale Kommunikations- und Distributionsplattformen (wie etwa ‚Steam‘ oder ‚Discord‘) genutzt, um in den dortigen Foren und Chaträumen rechtsextreme und islamistische Ideologie zu popularisieren sowie neue Unterstützer*innen anzuwerben (vgl. Jäger, 2024; Dauber et al., 2019; Lanser & Schülke, 2019).

Ein besonderes Phänomen des digitalen Extremismus, welches zunehmend im (inter-)disziplinären Fokus der Extremismusforschung und Game Studies steht, ist die seitens extremistischer Akteur*innen initiierte Entwicklung von Computerspielen, die dezidiert als Element der jeweiligen Desinformations- und Propagandastrategie eingesetzt werden sollen (siehe u.a. Möbus, 2023; 2024, Schlegel, 2023). Aktuelle Beispiele sind die vom Entwickler ‚Kvltgames‘, welcher der rechtsextremen ‚Identitären Bewegung‘ nahesteht, veröffentlichten Computerspiele ‚Heimat Defender: Rebellion‘ (2020) sowie dessen Nachfolger, ‚The Great Rebellion‘ (2024); auch seitens der islamistischen Miliz ‚Hisbollah‘ verantworteten Propagandaspiele ‚Special Force‘ (2003) und ‚Special Force 2: Tale of the Truthful Pledge‘ (2007) sind für den Kontext des institutionalisierten Islamismus exemplarisch zu nennen (vgl. Tawil Souri, 2007). Die genannten Spiele eint der Versuch, jeweils antagonisierte Gruppen zu entmenschlichen und dämonisieren sowie die extremistischen Helden- und Opfernarrative zu perpetuieren (vgl. Möbus, 2024). Zu betonen gilt, dass sich dieses Bestreben keineswegs als neues Phänomen darstellt; so fanden bereits in den 1980er Jahren Computerspiele wie ‚KZ-Manager‘ szeneintern Verbreitung (vgl. DER SPIEGEL 1987, 27).

Obgleich ausgewählte Aspekte dieser Computerspiele (wie u.a. die jeweils manipulativ eingesetzten narrativen und ludischen Mittel zur Feindbild- und Held*innenkonstruktion) bereits vereinzelt im Spiegel der Ideologie der extremistischen Akteur*innen analysiert wurden, mangelt es bisher an einem der Komplexität und Multimodalität des Mediums ‚Computerspiel‘ hinreichend gerecht werdenden Instrument zur Analyse der verschiedenen Bestandteile (sowie deren Zusammenwirken) von Computerspielen, die dezidiert extremistische Ideologie transportieren (sollen). Zwar existieren bereits einige analytische Näherungen an Computerspiele, die die konstitutiven Bestandteile des Mediums, darunter auch Bestandteile, die (notwendigerweise immer) Ideologie transportieren, modellieren (siehe z.B. Preisingers 2022; Fernández-Vara 2019; Eichner 2017), die allerdings im Spiegel der Besonderheiten der Computerspiele, die in dezidiert propagandistischer Absicht entwickelt wurden, an ihre analytischen Grenzen stoßen.

In Adresse dieses methodisch-methodologischen Forschungsdesiderates wird in dem Vortrag, basierend auf Zugängen der Game Studies zu der Phänomenologie von Computerspielen und Erkenntnissen der Extremismusforschung zu den Zielen und Mechanismen (digitaler) Propagandastrategien extremistischer Gruppen, ein Modell zur Analyse der Bestandteile von Computerspielen vorgestellt, die extremistische Ideologie transportieren (sollen). Ziel dieses Modells ist es, als Grundlage zur holistischen Analyse der bestehenden (sowie prospektiv entstehenden) Computerspiele extremistischer Akteur*innen dienen zu können, um diesbezüglich eine holistische Analyse sowie ferner darauf abgestimmt eine wissenschaftliche, zivilgesellschaftliche und politische Adressierung zu ermöglichen.

 

Literatur: 
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•Bitkom. (2021, August 23). Halb Deutschland spielt Video- oder Computerspiele. Bitkom. https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Halb-Deutschland-spielt-Video-oder-Computerspiele
•Dauber, C. E., Robinson, M. D., Baslious, J. J., & Blair, A. G. (2019). Call of Duty: Jihad – How the video game motif has migrated downstream from Islamic State propaganda videos. Perspec-tives on Terrorism, 13(3), 17–31. https://doi.org/10.1016/j.poter.2019.03.003
•DER SPIEGEL. (1987, June 28). Hitler auf dem Monitor. DER SPIEGEL. https://www.spiegel.de/wissenschaft/hitler-auf-dem-monitor-a-6de953be-0002-0001-0000-000013525982
•Eichner, S. (2017). Videospielanalyse. In L. Mikos & C. Wegener (Eds.), Qualitative Medienfor-schung. Ein Handbuch (pp. 524–533). Konstanz: UVK.
•Fernández-Vara, C. (2019). Introduction to Game Analysis (2nd ed.). New York, NY: Routledge.
•Jäger, M. (2024). Gaming und islamisch begründeter Extremismus. „Respond to the real Call of Duty“. Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/themen/infodienst/545514/gaming-und-islamisch-begruendeter-extremismus/
•Lanser, S., & Schülke, B. (2019). Propaganda und die Welt der Videospiele aus Sicht des Jugend-schutzes. JMS-Report 6, 15, 1–5. https://doi.org/10.5771/0170-5067-2019-6-2
•Möbus, B. (2024). Spielend spalten?! Rechtsextreme Feindbilder im Computerspiel Heimat De-fender: Rebellion im Spiegel der Ideologie der Identitären Bewegung. MedienPädagogik: Zeit-schrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 59(Desinformation von Rechts), 23-53. https://doi.org/10.21240/mpaed/59/2024.04.09.X
•Möbus, B. (2023). Würden wir die Rolle von Computerspielen nicht für wichtig erachten, würden wir nicht tun, was wir tun – Die Identitäre Bewegung und das propagandistische Potential von Computerspielen am Beispiel von ‚Heimat Defender: Rebellion‘. Zeitschrift für praxisorientierte Radikalisierungsforschung zepRa, 2(1), 4–35.
•Preisinger, A. (2022). Digitale Spiele in der historisch-politischen Bildung. Frankfurt am Main: Wochenschau.
•Prinz, M., & Hoang, V. (2021). Gaming und Demokratiegefährdung – Wie Rechtsextre-mist*innen Diskurse in digitalen Spielen beeinflussen. Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit, 5(2), 119–137.
•Schlegel, L. (2020). Jumanji Extremism? How games and gamification could facilitate radicaliza-tion processes. Journal for Deradicalization, 23, 1–44.
•Schlegel, L. (2023, April 12). Super Mario Brothers Extreme? Wie Extremist*innen Videospiele und GamingKultur für sich nutzen. Violence Prevention Network. https://gamingrechtsextremismus.de/themen/super-mario-brothers-extreme/
•Tawil Souri, H. (2007). The Political Battlefield of Pro-Arab Video Games on Palestinian Screens. Comparative Studies of South Asia, Africa and the Middle East, 27(3), 536–551. https://doi.org/10.1215/1089201X-2007-038