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Lisanne Heilmann

Der TikTok-Algorithmus als Player in gesellschaftlichen Machtverhältnissen und seine Bedeutung für Politische Bildung

Abstract:

 

Plattformen wie TikTok und Instagram sind zunehmend Orte an denen eine Form von Öffentlichkeit (Lippmann 2021) hergestellt wird und politische Themen diskutiert sowie politische Positionen beworben werden. Erklär-Formate in sozialen Medien (Wolf 2015) gewinnen hierbei an Bedeutung, insbesondere für jüngere Personen, die zunehmend Informationen neben den Plattformen Google oder Wikipedia auch auf TikTok selbst suchen (Matsa 2023).

Rechte und rechtsextreme Positionen haben die Plattform schnell entdeckt und den Algorithmus erfolgreich genutzt, um die Reichweite der eigenen Positionen zu erhöhen (Bösch 2023). Aktuell ziehen viele andere Parteien und Gruppierungen unter den Hashtag #reclaimTikTok nach, einschließlich des Bundeskanzlers, der unter anderem Einblicke in seine Aktentasche präsentiert. Es finden jedoch auch politisches Lernen und kritische Diskussionen auf TikTok statt (Heilmann 2024). Nun gilt es also zu hinterfragen, welche Bedeutung diese Entwicklung für die politische Bildung und die Medienpädagogik hat.

Dieser Beitrag folgt dem Vorschlag von Allert und Asmussen das „Mensch-Technik-Verhältnis performativ zu denken“ (Allert et al. 2018, S. 144) und ermöglicht damit eine theoretische Annäherung an TikTok-Diskurse in einem diskurstheoretischen Theorierahmen. So lassen sich zum einen die Verstärkung von gesellschaftlichen Machtverhältnissen durch die Konsumentscheidungen der Nutzer*innen beschreiben. Er wird beispielsweise kritisiert, dass Tänze und Trends Schwarzer Creator*innen häufig weißen Personen zugeschrieben werden und diese die entsprechende Bekanntheit und die damit zusammenhängende Entlohnung von profitieren (Boffone 2022). Grundsätzlich werden gesellschaftliche Biases von Algorithmen – seien es nun der TikTok-Algorithmus oder Large-Language-Modelle wie ChatGPT – immer erst einmal reproduziert, wenn nicht aktive Entscheidungen getroffen und Schranken gesetzt werden (Noble 2018). Diese jedoch sind stark von gesellschaftlichem Druck, populären Werten und dem politischen Willen abhängig, diese zu regulieren. Selbstregulierungen durch die entsprechenden Konzerne bleiben also immer in dem Sinne undemokratisch, dass sie nicht über demokratisch gefestigte Institutionen beschlossen werden.

Erste Ergebnisse einer videografischen Diskursanalyse von Videos auf TikTok zeigt auf, in welchen vielfältigen Wegen Creator*innen widerständige Praktiken auf TikTok selbst entwickeln und nutzen. Es zeigt, dass Algorithmus nicht nur Filterblasen kreiert, sondern auch identitätsstiftende Communities of Practice (Lave 2004) hervorbringt, in denen beispielsweise Zensur bestimmter Worte umgangen wird oder kritische Positionierungen eingenommen werden können. Insgesamt zeigt sich, dass die Plattform TikTok nicht nur gesellschaftliche Verhältnisse reproduziert, sondern auch ein Ort ist, an dem sowohl in bedrohlicher als auch in positiver Richtung Menschen sich in Gemeinschaften zusammenschließen und voneinander lernen können. Aus diesen Beobachtungen gilt es nun in einem weiteren Schritt Möglichkeiten zu entwickeln, wie kritische, politische Bildung auch auf einer Plattform wie TikTok Menschen erreichen kann und wie die Funktionsweisen von Algorithmen in der Zukunft besser als bisher im Sinne von Bildung und Demokratie verwendet werden können.

Literatur:

Allert, H.; Asmussen, M.; Richter, C. (2018): Formen von Subjektivierung und Unbestimmtheit im
Umgang mit datengetriebenen Lerntechnologien. Eine praxistheoretische Position. In: Zeitschrift
der Erziehungswissenschaft 21 (1), Artikel 1.
Boffone, Trevor (2022): The D'Amelio Effect. TikTok, Charlie D'Amelio, and the Construction of
Whiteness. In: Trevor Boffone (Hg.): TikTok cultures in the United States. London, New York:
Routledge Taylor & Francis Group (Routledge focus on digital media and culture), S. 17–27.
Bösch, Marcus (2023): Alternative TikTok Tactics: How the German Right-Wing Populist Party AfD
Plays the Platform. In: Fast Politics, S. 149–167. DOI: 10.1007/978-981-99-5110-9_8.
Heilmann, Lisanne (2024): Politisches Lernen auf TikTok. Aushandlung von Diversität in digitalen
Räumen. In: Hessische Blätter für Volksbildung 74 (2), S. 43–54.
Lave, Jean (2004): Situating learning in communities of practice. In: Lauren B. Resnick, John M.
Levine und Stephanie D. Teasley (Hg.): Perspectives on socially shared cognition. [revised
papers presented at a conference, entitled Socially shared cognition, held at the University of
Pittsburgh, 1989]. 4. printing. Washington, DC: American Psychological Assoc, S. 63–82.
Lippmann, Walter (2021): Die öffentliche Meinung. Wie sie entsteht und manipuliert wird.
Neuausgabe. Hg. v. Walter Ötsch und Silja Graupe. Frankfurt/Main: Westend.
Matsa, Katerina Eva (2023): More Americans are getting news on TikTok, bucking the trend seen
on most other social media sites. Hg. v. Pew Research Center. Online verfügbar unter
www.pewresearch.org/short-reads/2023/11/15/more-americans-are-getting-news-ontiktok-bucking-the-trend-seen-on-most-other-social-media-sites/.
Noble, Safiya Umoja (2018): Algorithms of oppression. How search engines reinforce racism.
New York: Oxford University Press. Online verfügbar unter
www.jstor.org/stable/10.2307/j.ctt1pwt9w5.
Wolf, Karsten D. (2015): Video-Tutorials und Erklärvideos als Gegenstand, Methode und Ziel der
Medien- und Filmbildung. In: Anja Hartung-Griemberg, Thomas Ballhausen, Christine TrültzschWijnen, Alessandro Barberi und Katharina Kaiser-Müller (Hg.): Filmbildung im Wandel. Wien:
NAP New Academic Press (Mediale Impulse, Bd. 2), S. 121–131.