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Prof. Dr. phil. habil. Jochen A. Bär

Germanistische Sprachwissenschaft

Lehrveranstaltungen: Angewandte Linguistik

Sprachberatung – Sprachkritik

Gegenstand: Der Begriff der Sprachpflege ist in der Linguistik umstritten. Bis in die 1950er Jahre hinein bestand allgemein kein Zweifel daran, dass Sprachwissenschaft auch normativ sein darf; führende Fachvertreter hatten kein Problem damit, sich auch sprachpflegerisch zu engagieren. Als hingegen die Germanistik in den 1960er Jahren die Sprache des „Dritten Reichs“ und zunehmend auch ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten begann, setzte sich im Fachdiskurs immer mehr die Meinung durch, dass die Linguistik die Sprache und ihren historischen Wandel nicht bewerten, sondern nur beschreiben solle. Die Bewertung überließ man – nolens volens – den „interessierten Laien“, die sich in Vereinen wie der Gesellschaft für deutsche Sprache organisierten und deren Tätigkeit man wissenschaftlicherseits gemeinhin mit Geringschätzung betrachtete. Erst seit den späten 1990er Jahren setzt sich allmählich wieder die Vorstellung durch, dass es eine „Sprachpflege auf wissenschaftlicher Grundlage“ (Uwe Förster) geben könne, dürfe und möglicherweise auch sollte. — Das Seminar befasst sich mit ausgewählten Versuchen (W. Dieckmann, H. Glück, A. Greule, G. Kolde, J. Schiewe, R. Wimmer u. a.), die Kluft zwischen Linguistik und Laienöffentlichkeit zu überbrücken. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach dem Begriff der sprachlichen Norm. Der Praxisbezug wird hergestellt durch Einblicke in die Arbeit sprachberatend und/oder sprachkritisch tätiger Institutionen wie der Dudenredaktion, der Gesellschaft für deutsche Sprache oder des Vereins Deutsche Sprache. Die Studierenden lernen konkrete, von Laien häufig gestellte Fragen zu sprachlichen Themen und die gängigen Hilfsmittel bei ihrer Beantwortung kennen; in eigenen Übungen zur Textsorte „Sprachauskunft“ gewinnen sie einen Eindruck vom Berufsbild „Sprachberater/-in“.

Literatur:

  • Bär, Jochen A. (2002): Darf man als Sprachwissenschaftler die Sprache pflegen wollen? Anmerkungen zu Theorie und Praxis der Arbeit mit der Sprache, an der Sprache, für die Sprache. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 30, 222–251.
  • Biere, Bernd Ulrich / Rudolf Hoberg, Hgg. (1995): Bewertungskriterien in der Sprachberatung. Tübingen.
  • Förster, Uwe (2000): Sprachpflege auf wissenschaftlicher Grundlage. Beiträge aus drei Jahrzehnten. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich.
  • Gloy, Klaus (1998): Sprachnormierung und Sprachkritik in ihrer gesellschaftlichen Verflechtung. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. v. Werner Besch / Anne Betten / Oskar Reichmann / Stefan Sonderegger. 2. Auflage. 1. Teilbd. Berlin/New York (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2,1), 396–406.
  • Müller, Gerhard (1998): Normen und Normbedürfnisse aus Sicht der Sprachberatung. In: Der Deutschunterricht 50, Heft 3, 61–66.
  • Schlosser, Horst Dieter (1993): Die Pflege der deutschen Sprache als Kultivierung der Vielfalt. In: Der Sprachdienst 37, 159–161.
  • Stöckhardt, Julia (2000): Sprachpflege: Was, wozu, für wen, wie? Vier Fragen – vier Thesen. In: Der Sprachdienst 44, 204–209.
  • Wiechers, Silke (2001): „Wir sind das Sprachvolk“ – aktuelle Bestrebungen von Sprachvereinen und -initiativen. In: Muttersprache 111, 147–162.

Weitere Literatur wird im Laufe des Semesters genannt.

Veranstaltet im:

  • WS 2009/10: Hauptseminar (Pädagogische Hochschule Heidelberg)
  • SoSe 2009: Hauptseminar (Universität Kassel, Institut für Germanistik)