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Germanistische Sprachwissenschaft

Forschungsprojekte

(Non)Compliance und medizinische Interaktion

PD Dr. Nina-Maria Klug

Compliance bezeichnet das Befolgen von ärztlichen Anweisungen durch Patient:innen. Dies schließt z.B. das Erscheinen zu Untersuchungsterminen, die Einnahme bestimmter Medikamente oder das Einhalten konkreter Diätanweisungen mit ein. Besonders in der Transplantationsmedizin werden die Konsequenzen von Compliance und Non-Compliance auf eine gravierende Weise sichtbar. Denn für Organtransplantierte ist die lebenslange Einnahme individuell verordneter (v.a. immunsuppressiver) Medikamente, der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel, jegliche unabgesprochene Selbstmedikation und eine genauestens auf die Immunsuppression angepasste Lebensweise conditio sine qua non des postoperativen Transplantaterhalts und damit des Patient:innen-Überlebens. Bereits leichte Formen der Non-Compliance führen in dieser Gruppe sehr schnell zu Abstoßungsreaktionen, im schlimmsten Fall zu Transplantatverlust und Tod. Vor dem Hintergrund dieser Folgen liegt es nahe anzunehmen, dass die Motivation zur Compliance bei Transplantierten besonders hoch ist. Medizinische Studien zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall ist: Über alle Transplantationsarten hinweg nimmt ca. ein Fünftel aller Transplantierten nicht einmal die verordneten Immunsuppressiva regelmäßig, in exakter Dosis und zu den vorgegebenen Zeiten ein. Die medizinische Forschung versucht daher seit einigen Jahren, Faktoren herauszuarbeiten, die Compliancestörungen bedingen. Berücksichtigt werden hier vor allem patient:innenseitige Faktoren wie das Geschlecht oder das Alter von Transplantierten, ihr soziales Umfeld, ihre psychische Verfassung, aber etwa auch das hohe Nebenwirkungspotenzial oder das schlechte Image der transplantaterhaltenden Medikamente (z.B. von Kortison).  Nur am Rande wird in medizinischen Compliance-Studien bislang die kommunikative Interaktion zwischen betreuenden Ärzt:innen (Transplantationszentren) und Patient:innen bzw. Patient:innen untereinander als potenziell relevanter Faktor für (Non-)Compliance beleuchtet.

Im geplanten sprachwissenschaftlichen Forschungsprojekt steht dieser Faktor im Fokus. Dabei geht es zum einen um die Frage, wie und mit welchen Argumenten Patient:innen ihren betreuenden Ärzt:innen/Transplantationszentren aufgrund eines bestimmten kommunikativen Betreuungsverhaltens fachliche Expertise und Glaubwürdigkeit zu- oder absprechen, z.B. auf Basis der Art und Weise, wie sie in direkten F2F-Sprechstunden, im persönlichen Brief- oder E-Mail-Verkehr, im Telefonkontakt, aber auch in informations- und interaktionsorientierten digitalen Angeboten medizinisches Fachwissen vermitteln, ärztliche Anweisungen oder Empfehlungen formulieren sowie auf Rückfragen und anweisungsbezogene Sorgen von Patient:innen reagieren.

Zum anderen zielt das Projekt darauf ab zu erfassen, welche Rolle die wachsenden Möglichkeiten überregionaler Vernetzung im Social Web für die diskursive Reflexion, Bestätigung oder (De-)Konstruktion von fachlicher Expertise und Expert:innenstatus spielt. Unter welchen Bedingungen entschließen sich medizinische Lai:innen den ärztlichen Empfehlungen/Weisungen ihrer betreuenden Fachzentren zu folgen? Wann, warum und wie werden die medizinischen Ratschläge von anderen Betroffenen als glaub- und damit befolgungswürdiger konzeptualisiert?

Als empirische Grundlage des Projekts sind neben einem digitalen Korpus von Web-Interaktionen zwischen Transplantierten auch Interviews und Fragebogenerhebungen mit Ärzt:innen und Patient:innen der Transplantationsambulanzen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) geplant.

Das Projekt befindet sich aktuell in seiner Konzeptionsphase. Geplant ist ein DFG-Antrag.