Was sind Kulturwissenschaften?
Mit einem weiten Kulturbegriff fragen die Kulturwissenschaften Vechta nach den Bedeutungen von kulturellen Äußerungen in ihrem Kontext. Kultur zeigt sich in Sprache, Bildern und Symbolen, in Denkformen und Normen ebenso wie in Materialität und Praktiken. Im Fokus stehen dabei die kulturellen Aushandlungsprozesse von Differenzen und Gemeinsamkeiten, die auch konflikthaft sein können: etwa die Formung des (eigenen) Körpers, die Vielfalt kultureller Übersetzungen zwischen Individuen und Gruppen, die Hybridität von Zugehörigkeiten oder die Transformationsprozesse von Alltagsroutinen.
Die Studierenden setzen sich mit verschiedenen Ausprägungen und Bedeutungsdimensionen von Kultur auseinander: mit der alltäglichen Lebensführung ebenso wie mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit von Politik, Recht, Religion und Kunst; mit historischen Entwicklungen kultureller Ausdrucksformen ebenso wie mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Prozessen der Individualisierung, der Globalisierung und der Medialisierung, mit Geschlechterforschung ebenso wie mit postkolonialen und intersektionalen Ansätzen der Ungleichheitsforschung.
Verständnisse von Kulturwissenschaften des Teams der Universität Vechta
Hier stellen sich die Lehrenden mit ihrem Verständnis der Kulturwissenschaften vor. Forschungsprojekte der Kulturwissenschaften finden Sie hier.
Prof.in Dr. Gabriele Dürbeck
Literatur- und Kulturwissenschaften
Die vor etwa 25 Jahren einsetzende Forderung nach einer kulturwissenschaftlichen Erweiterung der etablierten Geistes- und Sozialwissenschaften verläuft parallel zu den allgemeinen Globalisierungsprozessen. Der globale Wandel schlägt sich nicht nur in der Krise politischer Systeme, der Finanzkrise, in Umweltzerstörung und globaler Erderwärmung nieder, sondern ergreift auch Individuen, Gesellschaften und Nationen. Die neuen Kulturwissenschaften mit ihren inter- und transdisziplinären Forschungspraktiken kommen also in einer Zeit auf, in der Globalisierungs- und Enttraditionalisierungsprozesse die gesellschaftlichen Ordnungskoordinaten der Spätmoderne aufbrechen und Wirklichkeiten fragmentieren. Dadurch erzeugen sie ein verstärktes Interesse an einer Integration der zunehmenden Vielfalt und Individualisierung gesellschaftlicher und kultureller Phänomene.
Meine Arbeit in den Kulturwissenschaften trägt dieser Entwicklung Rechnung und versucht diese Prozesse an konkreten Gegenständen in literarischen Texten und visuellen Zeugnissen und ihrer Verbindung zur Fragen des Wissens kritisch zu reflektieren. Dabei sehe ich in den heutigen Kulturwissenschaften jedoch keine neue Universalwissenschaft mit eigenen Gegenständen und Methoden. Vielmehr erfüllen die Kulturwissenschaften als interdisziplinär ausgerichteter Diskussionszusammenhang bei zunehmender Spezialisierung der Einzelwissenschaften eine integrative Funktion. Das heißt, die Einzelfächer und ihre Expertise sind die Voraussetzung für methodisch abgesicherte und theoretisch anschlussfähige Beiträge, wobei durch Querschnittsthemen und thematischen Überschneidungen mit anderen Disziplinen innovative Brückenschläge möglich sind.
Zentrale Themen meiner Forschung und Lehre sind Kulturtheorien- und Kulturbegriffe, Reiseliteratur und Postkoloniale Studien, Kulturanthropologie und Literarische Anthropologie, Erinnerungskulturen, Ecocriticism/Literatur und Ökologie.
Prof.in Dr. Lina Franken
Digital Humanities
Aus der Empirischen Kulturwissenschaft/Kulturanthropologie kommend sind die Kulturwissenschaften für mich geprägt durch die Frage nach Bedeutungen in ihren Kontexten und dem Konstruktionscharakter von Kultur. Dieser weite, relationale Kulturbegriff stellt das Sinn-Verstehen in den Mittelpunkt. Gegenwart ist immer historisch geworden und im Wandel. Für das Verständnis unserer Gegenwart kommt kulturellem Erbe und Erinnerungspraktiken deshalb große Bedeutung zu. Im Mittelpunkt meiner Forschungen stehen sowohl konkrete Praktiken – soziales Handeln in den damit verbundenen Narrativen und Wissensrepräsentationen –, als auch Machtstrukturen und kulturelle Codes als normative Setzungen. Dabei ist die Perspektive der Science- and Technology Studies zentral, die auch nach der Handlungsmacht nicht-menschlicher Akteure, wie etwa technischen Geräten und Algorithmen fragt.
Mit der Perspektive der Digital Humanities untersuche ich diese Phänomene und entwickle eine explizit kulturwissenschaftliche Forschung mit digitalen Daten und Methoden weiter. Diese setzt dort ein, wo „klassische“ kulturwissenschaftliche Methoden Grenzen haben, geht aber weit über eine Computerunterstützung hinaus. Ich frage danach, wie mit digitaler Technologie und Konzepten der Informatik Lösungen für kulturwissenschaftliche Fragestellungen weiterentwickelt werden können. Besonders interessiert mich, wie das für die vielfältigen Datensätzen in kulturwissenschaftlichen Forschungsprojekten umgesetzt werden kann, die oft mit qualitativen Methoden erhoben und mit historischen oder diskursiven Materialien kombiniert werden
Prof.in Dr. Claudia Garnier, Prof.in Dr. Christine Vogel
Fach Geschichte
Kulturwissenschaften betrachten wir als ein interdisziplinäres Diskussionsfeld, in dem jenseits starrer Fächergrenzen neue Fragen und Methoden entwickelt werden. Sie ermöglichen es uns, die Komplexität und Dynamik gegenwärtiger und vergangener Lebenswelten sowie kultureller Wandlungsprozesse zu begreifen. Geschichtswissenschaftliche Methoden und Fragestellungen spielen dabei unserer Überzeugung nach eine grundlegende Rolle, denn Kulturen sind ohne historisches Bewusstsein nicht denkbar: "Gesellschaften imaginieren Selbstbilder und kontinuieren über die Generationenfolge hinweg eine Identität, indem sie eine Kultur der Erinnerung ausbilden" – das stellte Jan Assmann schon 1995 in seinem Grundlagenwerk zum kulturellen Gedächtnis fest. Ob Politiker in Reden auf historische Ereignisse rekurrieren, Globalisierungsgegner bei Demonstrationen Masken eines englischen Attentäters aus dem 17. Jahrhundert tragen oder die Fluggesellschaft Air France mit der Marianne für ihre "revolutionär komfortable" Business-Class wirbt: Geschichte ist überall. Zu erkennen, wie mit ihr argumentiert, verkauft oder öffentliche Meinung gelenkt wird, ist eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Partizipation. Als Historikerinnen sehen wir unsere zentrale Aufgabe in Lehre und Forschung deshalb darin, die historischen Dimensionen kultureller Praktiken und Diskurse zu analysieren und den Studierenden das nötige Rüstzeug zu vermitteln, um den gesellschaftlichen Umgang mit Geschichte kritisch reflektieren zu können.
Profil Prof.in Dr. Claudia Garnier
Profil Prof.in Dr. Christine Vogel
Prof. Dr. Elmar Kos, Prof.in Dr. Silvia Pellegrini, Prof. Dr. Egon Spiegel
Fach Katholische Theologie
Zum einen bringt die Theologie eine lange Erfahrung in der Deutung von Kulturen mit. Diese Erfahrung geht auf Kulturtransformationen zurück, an denen der christliche Glaube beteiligt war. Von daher vermag die Theologie spezifische gesellschaftsanalytische Dimensionen beizutragen, die auch für die heutige Situation relevant sind. Dabei wird nicht nur das Christliche als Teil der Gegenwartskultur identifiziert (in institutioneller Form oder jenseits der kirchlichen Verfasstheit), sondern es werden auch Bilder der Kulturwissenschaften vom Christentum kritisch hinterfragt.
Daneben aber bringt die Theologie eine Perspektive ein, die über die reine Beschreibung und Rekonstruktion verschiedener Positionen in der differenzierten Gesellschaft hinausgeht. Im Unterschied beispielsweise zu deskriptiv arbeitenden Religionswissenschaften wird ausdrücklich und reflektiert auf der Grundlage einer partikularen Weltanschauung Position bezogen. Die Frage nach der Orientierungsleistung, nach der menschlichen Bewältigung der Verwerfungen moderner Gesellschaft wird durch eine klare Positionierung (die ihre Partikularität transparent macht und reflektiert) beantwortet. Diese Positionierung versteht sich als Dienst an der Lebensfähigkeit des Individuums. Das Zueinander christlicher Gotteserfahrung und der modernen Kultur zeigt sich in den letzten Sinnfragen, welche auch die moderne Zeit bewegen. Die menschliche Kultur wird dabei als Kontext und Sprachgewand für die Offenbarung Gottes sowie für die Ausdeutung der Offenbarung Gottes in die jeweilige Gegenwart hinein verstanden (Josef Römelt). Der Horizont für dieses Zueinander christlicher Gotteserfahrung und moderner Kultur ist dann die drängende Frage nach der Interpretation komplexer Wirklichkeitserfahrung. Die Sinn- und Orientierungsprobleme moderner Gesellschaft werden dabei von der Theologie ohne Monopolanspruch aufgegriffen. Vielmehr werden dadurch die Perspektiven auf die Wirklichkeit und den Menschen gegenüber latenten oder offenen Deutungsmonopolen oder kulturell praktizierten "Totalitarismen" und Einseitigkeiten offengehalten (Josef Römelt). Gerade die besondere Sensibilität für die unreduzierbare Würde des Menschen und die Integration der Wirklichkeit auf dieses Geheimnis hin bringt die Theologie in den kulturwissenschaftlichen Dialog ein.
Profil Prof. Dr. Elmar Kos
Profil Prof.in Dr. Silvia Pellegrini
Profil Prof. Dr. Egon Spiegel
Prof. Dr. Norbert Lennartz
Anglistik / Literatur- und Kulturwissenschaft
Aus der Literaturwissenschaft kommend geht es mir darum, dem Missverständnis vorzubeugen, Kulturwissenschaft sei heutzutage alles minus Literatur. Literatur ist nach wie vor eine der wichtigsten Vermittlungsinstanzen von Kultur; daher gehe ich von einem close reading der britischen und amerikanischen Literatur aus und erweitere die gründlich gelesenen Texte dann um Fragestellungen, die sich aus einer weiterführenden Betrachtung der Kunst, des Films, der pop culture etc. ergeben.
Geht man grundsätzlich von einem offenen und inkludierenden Literaturbegriff aus (in deutlichem Gegensatz zur Exklusivität des damaligen New Criticism), so stellt man fest, dass man zwischen Literatur- und Kulturwissenschaft nicht mehr zu trennen vermag. Die Werke eines William Shakespeare sind Schnittmengen, in denen sich Diskurse der damaligen Medizin bzw. Humoralpathologie, der Jurisprudenz, der Staatsphilosophie, der Theologie, Astrologie etc. vermischen.
Es ist letztlich dem New Historicism der 1980er zu verdanken, dass der rein geistesgeschichtliche Blick auf die Literatur nun als überholt gilt und man Werke wie die der Romantiker als zwischen den Polen von high und pop culture verortet sieht. Erst durch den cultural turn wird der Leserin bzw. dem Leser ersichtlich, dass die idealisierende und vergeistigte Romantik auch eine irdisch zugewandte und mitunter sogar derbe Seite hat; dass Byron sich für das Boxen interessiert und sich in einer Zeit wie der unseren wiederfindet, in der das Zeitungswesen (oder heute das Internet) neue Helden kreiert oder vernichtet.
Prof. Dr. Jean-Christophe Merle
Philosophie für Kulturwissenschaften
Durch ihre argumentative, analytische und logische Methode trägt die Philosophie, die selber eine kulturunabhängige Gültigkeit beansprucht, zur Analyse und zum Verständnis der beiden Hauptdimensionen der Kultur bei. Einerseits untersucht sie in Anlehnung an der lateinischen "cultura" die "Beackerung" bzw. die "Pflege", d.h. die Entfaltung oder Entwicklung der Fähigkeiten der Menschengattung im Allgemeinen. Andererseits befasst sie sich mit den individualisierenden bzw. partikularisierenden – diakronischen sowie synchronischen – Unterschieden zwischen den Menschen, Menschengruppen und Institutionen. Zur philosophischen Untersuchung der Kultur tragen besonders die philosophische Anthropologie, die politische Philosophie, die Ethik, die philosophische Ästhetik und die Geschichtsphilosophie bei. In diesem Sinne unterstützt Philosophie den Studiengang Kulturwissenschaften vor allem mit folgenden Seminarthemen: Natur des Menschen (KW 3.2), Theorie der Gefühle und Emotionen, politische Philosophie (KW 7.2), Utopien, normative Theorien (KW 7.2), die Perioden der Philosophie (Antike, Mittelalter, frühe Neuzeit und Moderne), Pluralismus und kulturelle Minderheitenrechte usw.