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Germanistische Sprachwissenschaft

Öffentlichkeitsaktivitäten

Wörter des Jahres


 

 

konspirative Wohnung

  • 1978, Platz 1

Das Jahr nach dem berühmt-berüchtigten deutschen Herbst erlebte die Geburt einer interessanten Wortschöpfung: konspirative Wohnung. Von ihr war immer wieder im Zusammenhang mit der Fahndung nach Mitgliedern der Rote-Armee-Fraktion (kurz RAF) die Rede. Mal hätte der Polizei die „konspirative Wohnung“, in welcher der ermordete Arbeitgeberpräsident Schleyer gefangen gehalten worden war, bekannt sein müssen (Spiegel, 13. 3. 1978), ein andermal fand sie in Berlin eine „leere konspirative Wohnung“ (Welt, 3./4. 6. 1978). Gemeint war also ein Ort, an dem Terroristen Pläne schmieden, Geiseln verborgen halten und gegebenenfalls nach vollendeter Tat untertauchen. So weit, so gut. Stellte sich nur die Frage: Kann eine Wohnung konspirativ sein? Immerhin bedeutet das Wort zunächst einmal so viel wie ›verschwörerisch‹. Ein Mensch kann demnach konspirativ sein, nicht hingegen eine Wohnung.

Das sechsbändige Duden-Wörterbuch zerstreute ab 1978 jedoch solcherlei Zweifel, indem es die Bedeutung von konspirativ ausweitete: Das Wort heißt demzufolge in zweiter Bedeutung auch ›zu einer Verschwörung, in den Rahmen, Zusammenhang einer Verschwörung gehörend‹. Und zur Illustration finden sich nun die Beispiele: Eine konspirative Wohnung mieten, observieren, durchsuchen. Der sechsbändige Brockhaus-Wahrig bucht die konspirative Wohnung sogar als eigenes Stichwort und definiert sie als eine „zu konspirativen Zwecken, unter falschem Namen u. ä. gemietete Wohnung“. In dieser Bedeutung konnte sich die konspirative Wohnung inzwischen vollständig im deutschen Sprachgebrauch etablieren, wovon nicht zuletzt auch der rege Gebrauch des Wortes im Zusammenhang mit den Terrorangriffen des 11. September 2001 zeugt.    ⋄    Simon Kratzer