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Holocaust

  • 1979, Platz 1

„Dieses Jahrhundert hat den Menschen als Menschen getötet“, formulierte der französische Intellektuelle André Malraux (1901–1976) und spielte damit auf das Grauen des organisierten Massenmordes an europäischen Juden während des deutschen Nationalsozialismus an. Was die Nazis selbst verschleiernd Endlösung nannten, wurde seit 1979 unter dem Namen Holocaust diskutiert. Dies war der Titel einer amerikanischen Fernsehserie über das Schicksal einer jüdischen Familie im „Dritten Reich“, die das deutsche Fernsehen im Januar 1979 ausstrahlte. Das öffentliche Interesse an der Dokumentationsreihe war unerwartet hoch. Die publikumswirksame Serie, fand der Stern (1. 2. 1979), habe an ein paar Tagen erreicht, was jahrelange Aufklärungsarbeit über den deutschen Faschismus nicht zustande gebracht habe. Erstmals setzte sich eine breite Öffentlichkeit mit dem schwarzen Kapitel ihrer Geschichte auseinander.

Das Wort Holocaust entstammt ursprünglich einem religiösen Kontext und ist zuerst bei dem griechischen Geschichtsschreiber Xenophon (ca. 430–354 v. Chr.) belegt. In seinem Buch Anábasis schildert er, wie er dem Gott Zeus ein Ganzopfer darbringt: Anstatt, wie üblich, nur die ungenießbaren Teile eines Opfertieres zu verbrennen und alles Übrige selbst zu verzehren, opfert er dem Gott mehrere unversehrte Ferkel. Entsprechend dem griechischen hólos (›ganz‹) und kaíein (›verbrennen, verwüsten‹) verwendet er für diesen Vorgang das Verb holokauteîn. Auch im Alten Testament findet man Fälle dieses Opfertypus, der im Hebräischen mit ola kalil (›was ganz im Rauch aufsteigt‹) umschrieben und in der Septuaginta, der griechischen Bibelübersetzung des dritten vorchristlichen Jahrhunderts, mit holókauston bezeichnet wird. Mit weiteren Bibelübersetzungen gelangt das Lehnwort holocaustum in die lateinische Vulgata und von dort schließlich als holocaust ins Englische. Im Deutschen konnte sich die griechische Wortprägung zunächst nicht durchsetzen; Luther wählte die Übersetzung Brandopfer oder ganzes Opfer. Erst in dem umfangreichen Werk Encyclopädisches Wörterbuch oder alphabetische Erklärung aller Wörter aus fremden Sprachen, die im Deutschen angenommen sind (1801 hrsg. v. Wilhelm Wedel) ist der Fachausdruck verzeichnet: „Holocaustum, bei den Griechen und Römern ein Opfer, welches ganz verbrannt wurde“.

In der englischen Sprache wird die Vokabel schon seit dem siebzehnten Jahrhundert nicht nur als Bezeichnung des alttestamentlichen Ganzbrandopfers, sondern auch im übertragenen Sinne für Katastrophen von weltweitem Ausmaß, für verheerende Schlachten, Massaker und Kriege oder vollständige Zerstörungen und Vernichtungen verwendet. In diesem Sinne ist das Wort holocaust z. B. 1833 in dem Werk eines englischen Historikers belegt, der damit einen von König Ludwig VII. von Frankreich veranlassten Mord an 1300 Menschen bezeichnet. Im Zeitalter der Atombombe entwickelte sich die Wendung atomarer Holocaust.

Wann und wo genau Holocaust zum ersten Mal auf den deutschen Judenmord angewandt wurde, ist unklar. Der jüdische Schriftsteller Elie Wiesel gibt an, diesen spezifischen Ausdruck – für das hebräische Shoa – in einem Aufsatz aus dem Jahre 1958 geprägt, dies jedoch sehr bald schon bereut zu haben. Denn einmal in der Welt, konnte der ursprünglich religiöse Terminus vor einem inflationären Gebrauch nicht mehr geschützt werden. Mittlerweile ist er fester Bestandteil der deutschen Sprache geworden, und Zusammensetzungen wie Holocaustopfer, Holocaustforschung oder Holocaustliteratur sind allgemein gängig.

Anlässlich einer Diskussion um den Titel einer vom ZDF produzierten Sendereihe zum Thema schlug der deutsche Historiker Eberhard Jäckel vor, das auf besondere Weise geschichtsbeladene Wort einzudeutschen: Er sprach sich für die Schreibung mit k und die deutsche Aussprache aus, um ganz bewusst nicht auf den mittlerweile eingebürgerten Anglizismus zurückzugreifen. Der Mord an ca. sechs Millionen Juden gehöre der deutschen Geschichte an; ihn mit einem englischen Terminus zu bezeichnen, komme einer Distanzierung gleich. Eine deutsche Schreibweise für ein deutsches Verbrechen zu verwenden, sei dagegen „ein symbolischer Akt der Aneignung der eigenen Geschichte“ (FAZ, 18. 8. 2000).    ⋄    Benita von Consbruch