Springe zum Inhalt

Germanistische Sprachwissenschaft

Öffentlichkeitsaktivitäten

Wörter des Jahres

  • Ellenbogengesellschaft
  • Wende
  • Mitte
  • Talfahrt der Wirtschaft
  • Arbeitslosigkeit
  • sparen
  • Ausländer
  • Entrüstet euch!
  • Neue deutsche Welle

 

 

Ellenbogengesellschaft

  • 1982, Platz 1

Im Jahr 1982 befand sich die Bundesrepublik Deutschland in einer Krise. Der Staat war stark verschuldet, es gab über zwei Millionen Arbeitslose. Zur gleichen Zeit war die Regierung im Begriff, den zweiten Teil des Nato-Doppelbeschlusses umzusetzen und mit der Nachrüstung zu beginnen.

Bundeskanzler Helmut Schmidt versuchte Wirtschaftskrise, Inflation und Arbeitslosigkeit durch eine Steigerung der Neuverschuldung zu bekämpfen. Innerhalb der 1976 gewählten SPD/FDP-Koalition gab es deshalb mehrfach Auseinandersetzungen, denn die Genscher-Liberalen wollten die Neuverschuldung nicht in der Höhe, in der sie vom Kanzler vorgesehen war. Am 1. Oktober 1982 wurde Schmidt schließlich durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt; Helmut Kohl wurde Kanzler einer christlich-liberalen Koalitionsregierung.

Die SPD warf der neuen Regierung vor, von den sozial Schwachen „ungerechte Opfer“ zu verlangen: Durch die vorgesehenen steuerlichen Anreize zum Wettbewerb werde eine Ellenbogenmentalität gefördert. Die CDU konterte, der Gerechtigkeitswahn der Sozialdemokraten habe nur falsche Ansprüche geweckt. „Wir wollen keine Ellenbogengesellschaft“, so CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, „aber wir wollen eine Gesellschaft, in der die Menschen wieder den Mut bekommen, die Ärmel hochzukrempeln.“

Bereits 1976 hatte Helmut Kohl, noch als Oppositionsführer, in einer Rede im Bundestag dazu aufgefordert, „alle in der SPD sollten darüber nachdenken, wer der Prototyp dieser Ellenbogengesellschaft der Bundesrepublik Deutschland als Person geworden ist“. Dieser Schuldvorwurf ging damals in die andere Richtung: an Bundeskanzler Schmidt.

Bis heute ist immer wieder von einer Ellenbogengesellschaft die Rede. Manche behaupten, dass mit der Anspruchs- oder Egogesellschaft in Deutschland ein Wer-teverfall einhergehe. Laut einer Umfrage von Mitte 1994 glaubten zu dieser Zeit 75 % der befragten Bundesbürger, „daß die Menschen in den letzten Jahren immer egoistischer geworden sind“ (Allensbacher Berichte 1994, Nr. 17).    ⋄    Sabine Eichhorn