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Germanistische Sprachwissenschaft

Öffentlichkeitsaktivitäten

Wörter des Jahres

  • Aids, Kondom
  • Perestroika, Glasnost
  • Waterkantgate
  • Ozonloch
  • Molkepulver
  • Handlungsbedarf
  • Kremlflieger
  • Dienstleistungsabend

 

 

Aids

  • 1985, Platz 6 · 1987, Platz 1

Ein Kurzwort, genauer gesagt ein aus den Anfangsbuchstaben anderer Wörter zusammengesetzter Ausdruck, ein so genanntes Akronym, machte seit Mitte der 1980er Jahre solche Furore im deutschen Sprachgebrauch, dass es gleich zweimal unter die Wörter des Jahres gewählt und daneben auch bei der 1998 vom Fernsehsender 3sat initiierten Kür der „100 Wörter des 20. Jahrhunderts“ berücksichtigt wurde – mit der höchsten Stimmenzahl überhaupt (Conrad 2000, S. 175). Das ursprünglich in Versalien (AIDS) geschriebene Wort steht für das englische Acquired Immune Defiency Syndrome, zu Deutsch ›erworbenes Immunschwächesyndrom‹. Diese 1981 in den USA zuerst beschriebene Krankheit, die zur Zerstörung der körpereigenen Abwehrkräfte führt, wird durch das humane Immuninsuffizienz-Virus (HIV) ausgelöst, das sich durch infizierte Körperflüssigkeiten überträgt. Vor allem durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, aber auch beispielsweise bei Injektionen und Transfusionen kann man sich anstecken. Aids endet nach oft jahrelangem Krankheitsverlauf tödlich – wobei jedoch in aller Regel Infektionskrankheiten, gegen die sich der geschwächte Körper nicht mehr ausreichend zur Wehr setzen kann, die Ursache für das Ableben des Patienten sind. Während Aids 1985 nur erst Besorgten als „Thema des Jahres“ galt (Zeit, 8. 11. 1985), war die Krankheit zwei Jahre später „im Begriff, alle anderen gesellschaftlichen Ängste zu überwuchern“ (ebd., 1. 5. 1987). Vom Aidszeitalter war die Rede. Viele Wortneubildungen entstanden, darunter die jugendsprachlichen Ausdrücke aidsend (statt ätzend) und (den bis dahin als Schmähwort beliebten Spasti verdrängend) Aidsi. Da die Medizin keine Heilung in Aussicht stellen konnte, sprang die Politik in die Bresche – heraus kam die Aidspolitik, in der sich der bayerische Staatssekretär Peter Gauweiler besonders hervortat: „Aids-Peter ging daran, Aidsverdächtige [...] ‚aus dem Geschlechtsverkehr‘ zu ziehen“ (Walther 1988, S. 2).

Doch da sich Sexualmoral nicht verordnen lässt, war Aufklärung gefordert (Kondom). Durch sie und durch aufwendige medizinische Versorgung konnte in der westlichen Welt inzwischen die Ausbreitung der Krankheit verlangsamt werden. In vielen Entwicklungsländern grassiert sie hingegen ungebremst, denn „teilweise stehen wirksamen Vorbeugemaßnahmen immer noch religiöse, moralische oder gesellschaftspolitische Widerstände entgegen“ (Steinhauer 1999, S. 210).    ⋄    Jochen A. Bär

 

Conrad, Armin (2000): Bilder erschlagen die Wörter. Sprachliche Verpflichtungen eines Fernsehjournalisten. In: Die deutsche Sprache zur Jahrtausendwende. Sprachkultur oder Sprachverfall? Hrsg. v. Karin M. Eichhoff-Cyrus/Rudolf Hoberg. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich (Thema Deutsch 1), 170–175.

Steinhauer, Anja (1999): Aids. In: Der Sprachdienst 43, 210.

Walther, Helmut (1988): Deutsch 1987. In: Der Sprachdienst 32, 1–16.


 

 

Kondom

  • 1987, Platz 1

Das Virus der tödlichen Immunschwächekrankheit Aids kennt bislang nur einen ernst zu nehmenden Gegner: das Kondom. Zwar scheuen einige Männer die desensibilisierende Wirkung des Gummiüberzugs, doch mag andererseits der Safer Sex eine von Angst befreiende und auf diese Weise luststeigernde Komponente haben.

1987 trat ein, was jeder wache Zeitgenosse hätte im Voraus erraten können: Die Ausdrücke Aids und Kondom wurden zum „Wortpaar des Jahres“ (Süddeutsche Zeitung, 31. 12.). Dass der Ausdruck Kondom sich vom Erfinder des Überziehers, einem englischen Arzt namens Condom, ableite (ebd.), ist nach Meinung des Sprachforschers Wolfgang Mieder allerdings wenig wahrscheinlich. Näher liegt die Herleitung vom mittellateinischen conduma ›Haus‹ (Sprachspiegel 4/1987, S. 99 ff.).

Rasch entstanden die Wortneubildungen kondomisieren (›ein Kondom überstreifen, benutzen‹) und das Partizip kondomisiert (Zeit, 24. 4. 1987). Auch sonst fanden viele Wortkreationen den Weg in den Alltag. Eine von Bundesfamilienministerin Rita Süssmuth – der Namenspatronin der Süssmuth-Hütchen – initiierte Kondomkampagne („Mach’s mit“), für die mancherorts in Ganzkörperkondomen (›kondomartigen Kostümen‹) geworben wurde, erweckte vielfach eine Kondomeuphorie bzw. – so die Gegenrede einer Abgeordneten – „Kondomanie“ (Münchner Merkur, 26. 11. 1987). Es wurde an die „Kondommoral [...] appelliert, und mancher Kondomverweigerer unter den koitalen Männern mußte an seine Kondompflicht erinnert werden: ›Vertrauen ist gut, Kondome sind besser.‹“ (Walther 1988, S. 3.) Selbst Wissenschaftler meinten, es müsse nicht nur selbstverständlich, sondern auch einfach cool sein, das Kondom dabeizuhaben: „Den Pariser muss man tragen wie die Uhr von Cartier“ (Zeit, 20. 2. 1987).

All jenen, die Aids als Moralkeule gegen die freie Sexualität zu missbrauchen gedachten, musste es hingegen ein Dorn im Auge sein, dass das kleine, nicht selten sogar rote Teufelchen mit Horn die sichere Verführung ermöglichte. Kondome sind freilich kein hundertprozentiger Schutz, aber doch recht wirksam, vorausgesetzt, sie sind intakt und es werden keine Sexualpraktiken angewandt, bei denen es zu Verletzungen kommen kann.    ⋄    Marcus Füß

 

Walther, Helmut (1988): Deutsch 1987. In: Der Sprachdienst 32, 1–16.