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Germanistische Sprachwissenschaft

Öffentlichkeitsaktivitäten

Wörter des Jahres

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  • chinesische Lösung
  • Flüchtlingsstrom
  • Begrüßungsgeld
  • runder Tisch
  • multikulturell
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Reisefreiheit

  • 1989, Platz 1

Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 war es zwar Westeuropäern genehmigt, mit Visum in die Deutsche Demokratische Republik einzureisen, den Bürgern der DDR war es jedoch zum größten Teil nicht oder nur unter bestimmten Be-dingungen erlaubt, nach Westeuropa auszureisen. Darunter litten besonders diejenigen DDR-Bürger, die Verwandte „auf der anderen Seite“ des so genannten antifaschistischen Schutzwalls hatten. Eine Flucht war sehr risikoreich: Seit 1949 wurden 1 000 Menschen an der innerdeutschen Grenze erschossen, viele Tausende wurden wegen Republikflucht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. „Hier bin ich als Deutscher von Deutschen gefangen, weil ich von Deutschland nach Deutschland gegangen!“, schrieb nach seinem vereitelten Fluchtversuch ein Gefangener an seine Zellenwand.

Die Massenflucht nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs an der Grenze von Ungarn nach Österreich (Abstimmung mit den Füßen) und die Massende-monstrationen der DDR-Bürger („Wir wollen raus“, „Wir sind das Volk!“) veranlassten jedoch schließlich die DDR-Führung zu jenem folgenschweren Entschluss, der die friedliche Revolution endgültig ins Rollen brachte: Am 9. November 1989 verkündet der SED-Funktionär Günter Schabowski Reisefreiheit für die DDR-Bürger. Der deutsche Bundestag unterbrach als Reaktion auf diese Entscheidung seine Sitzung, und noch in derselben Nacht strömten Zehntausende Ostberliner in den westlichen Teil Berlins, wo sie in einer euphorischen, ausge-lassenen Stimmung die neue Freiheit und den Mauerfall mit den Westberlinern feierten.

In der Folgezeit kam es zu einem stark ausgeprägten deutsch-deutschen Reiseverkehr, der sich jedoch bald „zum Alptraum für Behörden und Polizei in beiden Teilen Deutschlands“ entwickelte (Wochenpost, 27. 4. 1990). Die Anzahl der Verkehrsunfälle stieg im Dezember 1989 um 50,8 % im Vergleich zum Vorjahr an; auf den Autobahnen staute sich der Verkehr, da „mehr als eine halbe Million der DDR-Bürger die Reisefreiheit für einen Einkaufsbummel in der BRD und West-Berlin“ nutzten (Mannheimer Morgen, 21. 11. 1989). Das einmalige Begrüßungsgeld mag für einige auch ein Anreiz gewesen sein.

Die ursprüngliche Hoffnung der SED-Führung, dass die Menschen nach Gewährung der Reisefreiheit freiwillig in eine inzwischen reformierte DDR zurückkehren würden, bewahrheitete sich nicht. Die Menschen reformierten die DDR auf ihre Weise: Es kam zum Ende des SED-Regimes, zu freien Wahlen und am 3. Oktober 1990 zur deutschen Wiedervereinigung.    ⋄    Anne Mette Tabel