Germanistische Sprachwissenschaft
Öffentlichkeitsaktivitäten
Wörter des Jahres
- Sparpaket
- Haushaltslöcher
- Lohnfortzahlung
- Globalisierung
- Homepage
- Rechtschreibreform
- genmanipuliert
- Kinderschänder
- Inline-Skating
- Ladenschluss
Sparpaket
- 1996, Platz 1
Die Gesellschaft für deutsche Sprache begründete die Wahl zum Wort des Jahres damit, dass die Spardiskussionen in Deutschland gerade in diesem Jahr „alle anderen Themen dominierten“. Sparpaket, das für diese Debatten wie kein anderer Ausdruck stehe, wurde zum Schlüsselwort sozial- und finanzpolitischer Diskussionen. Schon zu Beginn des Jahres zeichnete sich ein Kanon ab: sparen, sparen, sparen. Die Zahl der Arbeitslosen erreichte im Februar mit 4,17 Millionen den höchsten Stand seit fünfzig Jahren. Um Herr über die klaffenden Haushaltslöcher zu werden, legte die Bundesregierung ihr „Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung“ vor – Beschäftigungspaket und bald Sparpaket genannt –, dessen Maßnahmenkatalog im Wesentlichen Kürzungen der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie die verbindliche Erhöhung des Rentenalters für Frauen und Männer auf 65 Jahre beinhaltete. Nach Bekanntwerden der geplanten Maßnahmen formierte sich Widerstand gegen das Sparprogramm: Auf der größten Kundgebung der deutschen Gewerkschaften seit 1945 demonstrierten am 15. Juni in Bonn rund 350 000 Menschen.
Sprachlich ist das Sparpaket äußerst fruchtbar. Es bot nicht nur immer wieder Anlass zu Kontroversen – schon im Frühjahr erklärte die Süddeutsche Zeitung (27. 4. 1996) es zum „Hasswort der Woche“ –, sondern das Wortbildungspotential seiner beiden Teile fand auch in Zusammensetzungen und Ableitungen neuer Wörter Ausdruck, so in Sparappell, -bereitschaft, -diktat, -korsett, -kurs, -marathon, -opfer, -wut, und -zwang. Wortreihen auf -paket übertrugen sich rasch vom finanzpolitischen in andere Lebensbereiche, so dass neben dem Finanz-, Steuer- und Tarifpaket auch ein Förder-, Krisen-, Rettungs- und Sanierungspaket sowie ein Informationspaket und ein (sprachlich kurioses) Almerhaltungspaket in der Tagespresse auftauchten. Synonyme wie Bonner Horrorkatalog, Grausamkeiten, Knüppelpaket oder Sparfalle hoben besonders negative Konnotationen des Sparpakets hervor.
Andererseits regte der bildhafte Charakter des Wortes zu metaphorischen Verwendungsweisen an: Sparpakete wurden gepackt, verschnürt, gingen auf die Reise, wurden aufgeschnürt und mancherorts zurück an den Absender geschickt. Noch heute gehört dergleichen zum festen Bestandteil des Bundeshaushaltsvokabulars. Neben der zwischenzeitlich belegten Verwendung des Plurals ist in jüngerer Zeit fast nur noch die Form im Singular gebräuchlich. An Wortneuschöpfungen finden sich fast nur Substantive, Bildungen wie sparpaketlich kommen selten vor. ⋄ Matthias Mösch