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Lichtgrenze

  • 2014, Platz 1

Das Wort des Jahres 2014 bezieht sich auf die Lichtinstallation zu Anlass der Feierlichkeiten „25 Jahre Mauerfall“ in Berlin. Nach Auffassung der für die Jahreswörterwahl zuständigen Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) in Wiesbaden spiegelt Lichtgrenze in besonderer Weise die großen Emo­tio­nen wieder, die das Ende der DDR-Diktatur im Herbst 1989 auch 25 Jahre später noch in ganz Deutsch­land hervorruft. Über 8000 weiße, leuchtende Ballons erinnerten am 9. November 2014, dem Jahrestag der Maueröffnung, auf einer Länge von 15 Kilometern an den Verlauf des „antifaschistischen Schutzwalls“ (so nannte die SED-Propaganda ihr Monstrum) und die frühere Teilung der Stadt. Die filigrane Durch­läs­sig­keit der Installation und das Aufsteigen der Ballons auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten symboli­sier­ten beeindruckend die Auflösung der einst in jeder Hinsicht dunklen Demarkationslinie. Denn die ein­zigen Lichter, die seinerzeit diese Grenze erleuchtet hatten, waren die der Suchscheinwerfer gewesen.

„Die Aktion“, so urteilte Spiegel online (10. 11. 2014), „hat ein Bild geschaffen, das in Erinnerung bleibt. Ein Bild, das um die Welt geht. Fernsehsender, Onlinemedien und Zeitungen aus den USA über Israel bis Australien zeigen Bilder der strahlenden Leuchtkugeln. Das Ausland staunt darüber, mit welcher Leich­tigkeit den Deutschen das Gedenken an den Mauerfall 1989 gelungen ist. [...] Dabei hatten die Ini­tia­toren der ‚Lichtgrenze‘ mit allerlei Widrigkeiten zu kämpfen.“ Denn etliche der Kautschukballons platz­ten, und auch einige der Stelen, auf denen die Leuchtkugeln ruhten, wurden umgeknickt oder gestohlen. Doch die Lücken wurden wieder gefüllt.

Die Lichtgrenze, auch Lichtergrenze genannt, setzte in dem ansonsten an positiven Ereignissen und Meldungen – sieht man einmal von der Fußballweltmeisterschaft ab – nicht allzu reichen Jahr 2014 einen hellen Akzent. „So schön war die Grenze nie“, stand auf einer Berliner Internetseite. Einer der Leucht­bal­lons flog bis nach Lettland, drei andere schafften es bis nach Polen und vier weitere in den Westen Deutsch­lands.

Doch es fehlte auch nicht an Stimmen, die daran erinnerten, dass der 9. November in der deutschen Geschichte keineswegs immer ein Tag des Lichts war. Im Jahr 1918 dankte an diesem Tag Kaiser Wil­helm II. ab; nach dem verlorenen ersten Weltkrieg (an dessen Beginn vor 100 Jahren 2014 auch erinnert wurde) herrschten in Deutschland Anarchie und Revolution. 1938, ebenfalls am 9. November, eröffnete das Naziregime mit der sogenannten Reichspogromnacht seinen Massenmord an Juden und anderen Verfolgten des Rassenwahns. Mit Blick auf diese Zusammenhänge war auf Twitter zu lesen: „Trotz Lich­ter­grenze sollten wir in diesen Tagen nicht die anderen Gedenklichter des 9. November übersehen.“

Ursprünglich hatte die GfdS-Jury das Wort Lichtgrenze gar nicht auf ihrer Liste. Erst in der Auswahl­sit­zung selbst kam der Vorschlag auf, der dann aber für das gesamte Gremium letztlich so überzeugend war, dass er alle anderen Kandidaten für Platz 1 aus dem Rennen schlug. Da das Wort eng mit der da­durch bezeichneten Sache verknüpft ist – übertragene Verwendungen beispielsweise kommen praktisch nicht vor –, dürfte damit zu rechnen sein, dass es sich um ein „echtes“ Jahreswort 2014 handelt, das in späteren Jahren allenfalls noch historische Reminiszenz sein wird.    ⋄    Jochen A. Bär