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Germanistische Sprachwissenschaft

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Ampel-Aus

  • (2024, Platz 1)

Das sich seit langem andeutende Ende der Berliner Ampelkoalition – schon 2023 war Ampelzoff auf Platz 5 der Wörter des Jahres gekommen – sorgte für einen Paukenschlag, der sogar den zeitgleich bekannt gewordenen, durchaus spektakulären Ausgang der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl übertönte. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) entließ am 6. November Finanzminister Christian Lindner (FDP) wegen unüberbrückbarer Differenzen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik; fast alle übrigen Kabinettsmitglieder der FDP erklärten daraufhin ihren Rücktritt. Wie sich herausstellte, war Scholz, der unmittelbar darauf mit einer ausgefeilten, knapp 15-minütigen Begründung der Entlassung auftreten konnte, auf den Bruch vorbereitet. Er war Lindner jedoch offenbar lediglich knapp zuvorgekommen, denn die FDP war selbst mit dem Gedanken der Trennung umgegangen. Parteiintern war ein sogenanntes D-Day-Papier entworfen worden, das FDP-Generalsekretär Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Reymann wenig später das Amt kostete. Als unangemessen empfunden wurde vor allem die Wortwahl: D-Day spielt auf die Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus an; zudem war in dem Papier auch von „offener Feldschlacht“ die Rede, um die letzte Phase vor einem möglichen Koalitionsende zu beschreiben.

     Neben dem Blame Game gegenseitiger Schuldzuweisungen erhob sich sofort die Frage, wie es nun weitergehen sollte. Der Bundeskanzler kündigte an, im Bundestag die Vertrauensfrage stellen zu wollen; über den Zeitpunkt – die Opposition wollte es gleich, Scholz erst später – gab es eine Debatte, in der sich auch die Bundeswahlleiterin zu Wort meldete. Von einem zu frühen Termin riet sie aus organisatorischen Gründen ab: unter anderem könne es zu Lieferengpässen bei den benötigten Wahlzetteln kommen. Das Wort Papiermangel sorgte im In- und Ausland für Spott; Polen bot süffisant an, bei Bedarf auszuhelfen.

     Da Wörter des Jahres für das betreffende Jahr besonders prägend sein sollen, finden sich für die damit benannten Sachverhalte oftmals weitere Ausdrücke. Statt von Ampel-Aus war auch von Ampel-Ende, Ende der Ampel, Ampelbruch und geplatzter Ampel die Rede. Die beiden letzten Ausdrücke sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht interessant, denn sie zeigen, dass im Fall von Ampel, anders als in anderen Fällen metaphorischen Bedeutungszuwachses, die Assoziation der ursprünglichen Wortbedeutung noch erkennbar mit im Spiel ist. Ampel ist zwar eine Rückkürzung aus Ampelkoalition, aber die Verkehrsampel leuchtet noch so deutlich durch, dass bei Ampelbruch (›Bruch der Ampelkoalition‹) ebenso wie bei geplatzte Ampel das Bild als schief wahrgenommen wird.

     Auch das Wort Ampel-Aus selbst ist linguistisch bemerkenswert, da es sich um eine Alliteration handelt: beide Wortbestandteile beginnen mit einem A. Des Weiteren ist hervorzuheben, dass die Präposition aus hier als Substantiv mit Genus neutrum erscheint. Diese Transposition (ein Wortartwechsel ohne Beifügung zusätzlicher Wortelemente) führt nach Auffassung der Jahreswörter-Jury exemplarisch die vielfältigen Wortbildungsmöglichkeiten der deutschen Sprache vor Augen. Das Muster als solches ist dabei keineswegs neu: Ball im Aus und Aus für die Mannschaft kennt man aus dem Sport, Ehe-Aus, Beziehungs-Aus, Liebes-Aus usw. aus der Regenbogenpresse. Jamaika-Aus war das Wort des Jahres 2017. Damals war es FDP-Chef Christian Lindner, der die Fakten schuf und mit dem Satz „Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren“ die schwarz-gelb-grünen Koalitionsverhandlungen platzen ließ.    ⋄    Jochen A. Bär