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Der Niedersächsische Weg aus den AgriFood-Zielkonflikten

 Freitag, 06.09.2024

Der Forschungs-Praxisverbund diskutiert mit 170 Gästen Lösungsmöglichkeiten in Hannover

Rund 170 Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Beratung und landwirtschaftlicher Praxis diskutierten am 14.08.2024 Wege aus den Zielkonflikten im AgriFood-Sektor hin zu einem nachhaltigen, klimaverträglichen und ressourcenschonenden Agrarsystem der Zukunft. Gastgeber und Mitveranstalter der 5. Fachtagung des Verbundes Transformationsforschung agrar Niedersachsen (trafo:agrar) war die Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover. Als weiterer Mitveranstalter hatte das Agrar- und Ernährungsforum Nord-West e. V. zahlreiche Unternehmen und Wirtschaftseinrichtungen aus dem zweitwichtigsten Wirtschaftssektor Niedersachsens geladen.

Der Verbund trafo:agrar setzte auf ein neues Format: Am Vormittag wurden Fachvorträge zu den drei Zielkonflikten Flächennutzung, Tierhaltung und Ernährung der Zukunft gehalten. Auf dieser Basis wurde dann im Anschluss gemeinsam mit allen Teilnehmenden in Workshops Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen diskutiert und festgehalten.

Im Auftakttalk der Veranstaltung diskutierten der Präsident der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Prof. Dr. Klaus Osterrieder, der Vorstandsvorsitzende des Agrar- und Ernährungsforums Nord-West e. V., Sven Guericke, der Fachbeiratsvorsitzender von trafo:agrar, Hans-Joachim Harms, mit Prof. Dr. Nicole Kemper die Herausforderungen und Aufgaben für Wissenschaft in der Nachhaltigkeitstransformation.

Sehr große Beachtung erhielt der Eingangsvortrag von Prof. Dr. Kai Niebert, Universität Zürich, Präsident des Deutschen Naturschutzringes e. V. (DNR) und Mitglied der Zukunftskommission Landwirtschaft, zum Thema „Flächennutzung der Zukunft: Von Konflikten zu Synergien?“ Eindrucksvoll beleuchtete Prof. Niebert, dass die Bundesstrategien der einzelnen Ressorts die Fläche Deutschlands bei weitem überzeichnet haben. Er plädierte für ein ressortübergreifendes, Ökosystem- und Lösungsorientiertes Vorgehen, das alle Beteiligten auf Augenhöhe einbeziehe, und verwies dabei auf den erfolgreichen Ansatz des Niedersächsischen Weges.

Stefan Ortmann, Stellv. Kammerdirektor und Geschäftsbereichsleiter Landwirtschaft der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, diskutierte anschließend mit Prof. Niebert und Karin Logemann, SPD, MdL Niedersachsen, welche Prioritäten Niedersachsen im Spannungsfeld verschiedener Bedarfe in den Bereichen Moorschutz, Energiestandort, Nahrungsmittelproduktion und Kulturlandschaft setzen könne.

Im zugehörigen Workshop am Nachmittag trafen sich interessierte Teilnehmende der trafo:fachtagung, um die angesprochenen Themen zu diskutieren und mögliche Lösungsansätze zu finden. Die meiste Zustimmung fand der Vorschlag, den Niedersächsischen Weg auf regionaler Ebene als verbindlich zu setzen. Planungssicherheit war ebenso eine Forderung, die für das Gelingen von Nachhaltigkeitstransformation notwendig sei; eine weitere Idee war es, neue Märkte für die Leistungen des ländlichen Raumes zu schaffen.

Der zweite Zielkonflikt thematisierte die Nutztierhaltung im Spannungsfeld zwischen Klima- und Umweltschutz, Energiewende, Tierwohl und Zoonoseprävention. Prof. Dr. Eberhard Hartung, Präsident des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL), referierte zu Wechselwirkungen zwischen Klima- und Emissionsschutz und zukünftiger Tierhaltung. Aus Praxissicht wurde der Zielkonflikt anschließend sehr konkret von der Landwirtin Iris Tapphorn aus Lohne beleuchtet. Der Gänsehof Tapphorn plant, eine Agri-PV in der Gänsehaltung, um Anforderungen an Tierwohl, Tier- und Seuchenschutz zu erfüllen, aber auch gleichzeitig ein weiteres Standbein für den eigenen Betrieb aufzubauen. In ihrem anschaulichen Vortrag beleuchtete Frau Tapphorn die Schwierigkeiten im Genehmigungsverfahren auf verschiedenen Ebenen.

Aus der Diskussion der Workshops am Nachmittag ergaben sich Lösungsansätze, um innovative Vorhaben in der Landwirtschaft in den einzelnen Kommunen umsetzen zu können. Konsens bestand im Bedarf der Entwicklung einer wertschätzenden Fehlerkultur, um innovativen Ansätzen mehr Raum zu bieten. Außerdem brauche es mehr Mut und Entscheidungsbefugnis in der öffentlichen Verwaltung, um neuen Ideen überhaupt eine Chance zu geben. Es würden mehr Freiräume gebraucht, in denen gute Ideen ausprobiert werden können. Wenn all das gegeben sei, könnten Konflikte weniger schnell entstehen oder zumindest schneller gelöst werden - hierin waren sich alle einig.

Zum dritten Zielkonflikt unter dem Titel „Zukunftsprodukte aus der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette zwischen regionaler Produktion und Handelsmarken“ sprach Hendrik Wiedenroth, der als Consultant für Nachhaltigkeit im Einkauf bei Lidl Deutschland tätig ist. In seinem vielbeachteten und diskutierten Vortrag stellte Wiedenroth die neue Nachhaltigkeitsstrategie des Lebensmitteleinzelhandelskonzerns vor, die neben dem Verzicht auf Kinder-Marketing vor allem darauf abzielt, mehr pflanzenbasierte Proteine unter die Verbraucher*innen zu bringen. Dies solle mittels gleicher Bepreisung von veganen und tierischen Vergleichsprodukten allen Kunden schmackhaft gemacht werden. Außerdem wolle man konsequenter auf Herkunftskennzeichnung und Tierwohl achten. Dr. Henrike Meyer zu Devern führte als Moderatorin die Diskussionsrunde und stellte in Frage, ob vegan denn immer gleich besser sei. Im Anschluss stellte Prof. Dr. Bernard Brümmer, Vizepräsident für Forschung und Nachhaltigkeit an der Universität Göttingen, den Forschungsverbund „Zukunft Ernährung Niedersachsen“ (ZERN) vor, welcher aus systemischer Perspektive das hiesige Agrar- und Ernährungssystem zwischen regionalen und globalen Anforderungen untersucht.

Als Ergebnis der Diskussionen in diesem Workshop kristallisierten sich spannende Lösungsansätze heraus. Insbesondere benötige eine Ernährungswende bessere Ernährungsbildung unter Kindern und Erwachsenen und weniger bzw. intuitiver verständliche Labels. Alle waren sich einig, dass „der Verbraucher die Bedeutung von Labels verstehen muss“. Zudem müsse es mehr gesamtgesellschaftlichen Austausch geben und auch der Lebensmitteleinzelhandel sowie die Außer-Haus-Verpflegung müssen stärker in die Verantwortung genommen werden. „Der Impuls muss aus der Wirtschaft kommen“, wurde es von einem Teilnehmer auf den Punkt gebracht. Im Anschluss an die einzelnen Workshops wurden die Diskussionsergebnisse im großen Plenum vorgestellt.

Die drei Veranstalter konnten auf eine sehr erfolgreiche Tagung zurückblicken. Die entwickelten Handlungsansätze werden in den kommenden Wochen und Monaten weiter konkretisiert und in Projekten aufgenommen. Abgerundet wurde die Veranstaltung durch die Verleihung des dritten trafo:nachwuchspreises.

Kontakt:
Dr. Barbara Grabkowsky
E-Mail: barbara.grabkowsky@trafo-agrar.de


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