Irina Hense und Lennart Sens haben sich im Studium der Sozialen Arbeit kennengelernt. 2019 bezog das Paar seine erste gemeinsame Wohnung – im Weserstadion. Für den SV Werder Bremen arbeiten Hense und Sens als „Internatseltern“ des Wilhelm-Scharnow-Internats und betreuen die Nachwuchsspieler. Wir stellen beide vor:
So sind wir zum SV Werder Bremen gekommen:
Sens: Als Jugendlicher war es schon immer mein Traum, bei einem Fußballverein zu arbeiten und Nachwuchsspieler zu betreuen. Bestätigt wurde ich durch ein Semesterferien-Praktikum im Nachwuchsleistungszentrum von Bayer 04 Leverkusen. Nach dem Studium bewarb ich mich bei sämtlichen Fußballvereinen im In- und Ausland und startete als Pädagoge beim FC St. Pauli in Hamburg. Dort betreute ich die beiden Jugendtalenthäuser. Durch einen Kontakt bekam ich schließlich die Information, dass der SV Werder Bremen eine Internatsleitung sucht. Ich bewarb mich und bekam glücklicherweise den Zuschlag. Seit August 2019 arbeite ich als Internatsleiter beim SV Werder Bremen.
Hense: Nach dem Studium begann ich in Oldenburg mein Berufsanerkennungsjahr (BAJ) beim Allgemeinen Sozialdienst. Meine Wochenenden verbrachte ich meistens in Hamburg bei Lennart und den Jungs in den Talenthäusern. Ich erhielt so Einblicke in die Nachwuchsarbeit und konnte erste berufliche Erfahrungen sammeln. Ehrlicherweise hatte ich vorher wenig mit Fußball am Hut. Ich freute mich aber immer auf die Wochenenden. Nach meinem BAJ überlegten wir beide, wie wir unser Zusammenleben gestalten könnten. Lennart vertraute darauf, dass sich was Passendes ergibt, ich hatte schon ein paar schlaflose Nächte. Im Frühjahr 2019 war es dann soweit. Lennart hatte das Bewerbungsgespräch beim SV Werder Bremen und erfuhr, dass für das Internat ein Paar gesucht wird. Das Paar sollte vor Ort leben, das Internat leiten und die Spieler betreuen. Lennart war sich nicht ganz sicher, ob ich in einem Stadion wohnen möchte. Ich war aber von der ersten Sekunde an begeistert. Seit November 2019 arbeite ich als Sozialpädagogin im Internat.
Unsere Aufgaben dort sind:
Hense: Die ganzheitliche Betreuung und Begleitung der Internatsspieler in allen Lebenslagen. Wir sind Tag und Nacht für die Jungs da und versuchen, ein zweites Zuhause für Sie zu schaffen. Die Arbeit ist relativ vergleichbar mit dem Leben in einer Familie. Wir verbringen viel Zeit mit den Jungs.
Sens: Wir haben die Verantwortung für die Jungs, geben Ihnen Struktur im Alltag und bereiten Sie auf ein selbstständiges Leben vor. Zudem sind wir immer in Kontakt mit den Eltern. Außerdem stehen regelmäßig Meetings mit Trainingsstab, sportlicher Leitung, Scouts, dem Psychologen oder dem Bildungskoordinator an. Wir verwalten das Budget des Internats, sind für die Mitarbeiter*innen zuständig und verantwortlich für das Bewertungsverfahren des Internats seitens der Deutschen Fußball Liga.
Derzeit wohnen im Internat 21 Jungen zwischen 14 und 18 Jahren. Wie bekommt man einen Platz dort?
Sens: Die Spieler werden gescoutet und nach positiver sportlicher Einschätzung zum SV Werder Bremen eingeladen. Bei bestehendem Interesse des Spielers und der Familie folgt anschließend ein Kennenlerngespräch mit der Internatsführung. Im Zuge dessen wird auch geklärt, ob ein Umzug des Jungen in ein Internat in Frage kommt und sinnvoll ist. Diese Entscheidung bedeutet schließlich einen großen Schritt in der Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen, fernab des Elternhauses. Dabei sind die Tage der Jungs in der Regel stark getaktet.
Hense: Darüber hinaus muss der Jugendliche auch ein Schulzeugnis vorlegen. Gemeinsam mit dem Bildungskoordinator des Vereins, dem Spieler und der Familie wird der schulische Ablauf und die Erwartungen besprochen.
Wie sieht der Internatsalltag für die Jungs aus?
Hense: Die Tage der Jungs sind in der Regel stark getaktet. Es beginnt mit dem Frühstück in der Internatsküche. Anschließend geht es zur Partnerschule, auf die viele Werder Spieler gehen. Dort können die Spieler auch ihr Abitur machen. Nach der Schule bekommen die Jungs hier im Stadion eine warme Mahlzeit vom Mannschaftskoch der Profis. Ab ca. 16:30 Uhr geht es zum Training, teilweise findet auch ein zweites, individuelles Training am Tag statt. Im Anschluss folgt dann das Abendessen ab 19:30 Uhr. Der Tag endet schließlich mit Freizeit oder ggf. mit dem gemeinsamen Lernen mit den Schulunterstützer*innen im Schulraum des Internats. Einmal die Woche haben die Jungs trainingsfrei.
Ihr Weg nach Vechta könnte unterschiedlicher nicht sein. Frau Hense, Sie kommen aus Kasachstan und sind im Alter von fünf Jahren nach Oldenburg gezogen. Ihre Eltern sind aufgrund der damaligen Wirtschaftskrise und den ausgebliebenen Lohnzahlungen ausgewandert. Nach dem Abitur und einem FSJ sind Sie in Vechta gestartet. Herr Sens, Sie sind in Husum geboren und in Karlsruhe aufgewachsen. Nach einer kaufmännischen Ausbildung, dem Fachabitur und einem FSJ sind auch Sie 2014 mit dem Studium in Vechta angefangen. Wann hat es zwischen Ihnen beiden gefunkt?
Sens: Das erste Mal bewusst wahrgenommen haben wir uns tatsächlich in der Erstiwoche, dort waren wir in der gleichen Gruppe.
Hense: Bei einem der vielzähligen Kennenlernspiele sind wir uns das erste Mal aufgefallen und haben das Kennenlernen beim Wort genommen (lacht). Ab dem zweiten Semester waren wir dann ein Paar, man soll ja schließlich nichts überstürzen.
Vor rund zwei Jahren sind Sie in Ihre erste gemeinsame Wohnung gezogen. Sie wohnen im Weserstadion in der Ostkurve. Kommen alle Pakete bei Ihnen an?
Hense: Das ist eine gute Frage. Wir haben schon kuriose Geschichten mit den Paketdiensten oder Lieferdiensten erlebt. Aber in der Regel klappt es ganz gut. Oft ist es für die Menschen einfach unbegreiflich, dass wir in einem Stadion leben. Wir fühlen uns in der Wohnung unheimlich wohl, es ist unser Zuhause geworden. Entgegen der Erwartungen ist die Wohnung sehr groß, hell und man blickt auf die Trainingsplätze aber auch zum Teil auf die Weser. Generell ist hier in der Umgebung sehr viel Natur, obwohl das Stadion relativ zentral liegt. Viele Menschen kommen zum Spazieren gehen oder Joggen hier her.
Sens: Besonders an der Wohnung ist, dass eine Tür im Vorratsraum direkt auf die Tribüne der Ostkurve führt. Ein Traum für Fußballfans.